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Nachlese zur RG Hannover-Veranstaltung am 20. Juni 2012: Wie Wölfe mit Vertrauen führen… und was menschliche Chefs davon lernen können.

Eigentlich eine Provokation – Irina Schefers ganz anderes Wolfsbuch
Eine persönliche Nach-Lese

Wenn eine Autorin über eine Herzensangelegenheit schreibt und ihr Verlag Bücher verkaufen will, kann es zu Interessenreibungen kommen. Nicht unbedingt auf der inhaltlichen Ebene (warum sollte eine Herzensangelegenheit nicht marktgängig sein?) , sondern zuvörderst im Marketing des Buches (wie sieht ein verkaufbares ‚Herz‘ aus + wie benennen wir das Ganze?) . Bei der Lesung mit Irina Schefer am 20.6. wurde mir das auf’s Schönste klar: der Arbeitstitel des Buches lautete kurz + knapp, vielsagend + schillernd ‚Vertrauen vor Rang‘; das endgültige Buch dagegen trägt den gewundenen und damit arg verdünnten Titel ‚Wie Wölfe mit Vertrauen führen … und was menschliche Chefs davon lernen können‘. Entsprechend ist auch das Titelbild mit zwei smarten Business-Typen zentral bevölkert, statt, wie es der Autorin wohl gefallen hätte, mit den ausdrucksvollen Wolfsgesichtern, die ihr die ganze Geschichte schließlich erzählt haben.

Es gibt tierische Coachingbücher (nach dem Motto ‚Managen wie die Pinguine‘) inzwischen wie Sand am Meer – kaum ein Tier bleibt von diesem niedlichen Trend verschont, kein Tier hat bislang Einspruch dagegen erheben können, als Projektionsfläche für Menschliches herhalten zu müssen. Irina Schefers Buch und auch ihr warmer + engagierter Vortrag heben sich wohltuend von dieser Mode ab: Zum einen geht es ihr um eine wissenschaftlich fundierte Revision des in Märchen + Mythen fest verankerten und von vielen populären Wolfsbüchern brav kolportierten Bildes vom ‚bösen Wolf‘; zum anderen um die etwas verzwickte (fast möchte ich sagen: dialektische) Auswertung der Tatsache, dass menschliche Gruppen mehr traditionell als wölfisch verschriene Eigenschaften aufweisen als die so missbrauchten Wolfspopulationen selbst. Nicht also geht es ihr darum, von Wölfen zu lernen, sondern darum, mit der veränderten Wahrnehmung eines alten Mythos auch die eingespielten Mythen der Selbstwahrnehmung impulsartig zu verändern.

Beispielhaft sei dies an dem Bild des Alpha-Männchens entfaltet:

  • Boss eines Rudels kann nur einer sein.

  • Dieser eine ist männlich.

  • Die Rangordnung wird bissig + blutig verteidigt.

  • Wer schwach ist, ist der Letzte, den alle Hunde Wölfe beißen.

 

Wunderbarer Weise stimmt das alles nicht. Ein Wolfsrudel ist ein Familienverband, der von den Eltern im gleichberechtigten Parallelflug gemanaged wird. Die Rangordnung ist im Allgemeinen durchlässig (Qualifikation vor Rang), nur in brenzligen Situation gilt unbedingter Gehorsam gegenüber den Erfahrensten (und das sind nun mal die Eltern). Schwache, junge oder verletzte Tiere werden nach Möglichkeit aufgepäppelt und in’s Alltägliche sanft (re-)integriert.

Viel lernen (im oberflächlich-plagiierenden Sinne) kann ein Team davon nicht, denn ein Team ist keine Familie (Gott sei Dank!). Auch das Menschelnde hilft nicht viel weiter (so sympathisch es sein mag): ein Team hat eine Aufgabe und wird an der Qualität der gefundenen Lösung bewertet, nicht am emotionalen Modus ihrer Hervorbringung. Allerdings könnte dieser emotionale Modus – nämlich das auch in einem Team mögliche und wünschenswerte Wir-Gefühl, das es bei den Wölfen gibt und dort vor allem auf gegenseitigem Vertrauen beruht – auch in unseren menschlichen Teams die Qualität der Arbeitsergebnisse positiv beeinflussen. Was sich aber – in jedem Fall – ändern könnte, wäre die Selbstwahrnehmung des Teams, das Aufbrechen der selbstverordneten Rudel + Hierarchiemythen: das Alpha-Männchen oder -Frauchen, das knurrend die widerstrebenden MitgenossInnen im Zaum + bei der Arbeit hält, auftrumpfend Respekt fordert statt ihn sich durch kohärentes Handeln zu verdienen und sowieso alles besser und schneller könnte, wenn es nur diese vermaledeite Gruppe nicht gäbe.

Mir zumindest wird beim nächsten eigenen Meeting das Bild des Wolfspaares vor Augen sein, das die ihm Anvertrauten nach besten Kräften durch den harten Winter bringen wird: mit Vertrauen, mit Respekt und unbedingtem Realitätssinn.

Für dieses schöne und auffordernde Bild möchte ich Irina Schefer ganz persönlich danken. Und natürlich (ich bin Buchhändler und arbeite in einer Buchhandlung) nochmals ihr Buch an’s Herz legen. Es lohnt sich!

Andreas Ullrich, www.fachbuch.biz

 


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