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Global Hack

Autor Marc Goodman
Verlag Hanser
ISBN 978-3-446-44463-8

Auf Seite 19 findet sich die Bemerkung des Autors: „Eine gutgemeinte Warnung: Wenn Sie weiterlesen, werden Sie Ihr Auto, Ihr Smartphone oder Ihren Staubsauger künftig mit ganz anderen Augen sehen.“ – und insofern diese Dinge Teile des Internets der Dinge sind, sollte kein Leser meinen, die Warnung sei übertrieben. Die Lektüre des ungemein faktenreichen und flüssig geschriebenen Buches resultiert exakt darin: In einer veränderten Sicht- und Gebrauchsweise digitaler Optionen.

Marc Goodman wird im Klappentext vorgestellt als „internationaler Experte für Sicherheitsfragen“. Und da das Etikett „Experte“ heute recht freigiebig vergeben wird, die Rezension nicht nur zum Lesen, sondern zum Ernstnehmen der Lektüre motivieren möchte, soll in diesem Fall hinzugefügt werden: Der Autor ist Gründer des Future Crimes Institute, berät Interpol und kann auf vieljährige praktische Expertise als „Polizeibeamter, Undercover-Ermittler“ und Akteur in der Terrorismusbekämpfung zurückgreifen. Daneben ist der mehrsprachige Fachmann wissenschaftlich versiert (MA of Publik Administration, MA of Science“ und fleißiger Sammler von Fakten, die die faktische Grundlage seiner warnenden Ausführungen ebenso bilden wie die Empfehlungen, Schwachstellen und Bedrohungen zu minimieren.

Was das Buch so eminent wichtig macht und von anderen Büchern, die sich Sicherheitslücken in der gesamten digitalen Infrastruktur widmen, unterscheidet, ist neben dem Fokus auf kriminelle Optionen vor allem dies: Kenntnis- und faktenreich legt es dar, inwiefern, warum und wo welche Schwachstellen in Programmierung, Sensor- und anderen Arten/Medien der Vernetzung und Nutzung von ITK- und online-Diensten vorherrschen; welche Auswirkungen dies hatte,hat und haben kann/wird; mit welcher zeitlichen Verzögerung Sicherheitslücken zum Schaden von wem entdeckt und geschlossen wurden (oder auch nicht); inwiefern die Gründlichkeit von Programmierern/Entwicklern/Informatikern korrumpiert wird sowohl durch persönliche Attitüden als auch durch das Eingespanntsein in Geschäftsmodelle (Programmierer, Entwickler als Agenten im Business); wie kriminelle Akteure vorhandene Technik nicht nur nutzen, sondern auf verschlungenen Wegen auch an ihrer Entwicklung und Verbreitung beteiligt sind.

Die Ausführungen betreffen sämtliche Felder gesellschaftlichen Lebens. Darin liegt ein weiterer USP: Marc Goodman verwebt nachvollziehbar sämtliche Entwicklungen in der ITK sowie damit verbundener Weiterentwicklungen in 3-D, Robotik, Sensorik, KI und EI, in Biometrie, Bionik, Mensch-Maschine-Interaktion und – „Verschmelzung“ (Cyborg) mit Einstellungen und Verhalten(smustern) von Individuen und Kollektiven auf diesem Globus, setzt sie in Beziehung zu Rechts- und anderen staatlichen Institutionen und Handlungräumen und stellt die Frage nach den Bedingungen der Möglichkeit einer gesellschaftspolitisch konstruktiven, demokratische Verfasstheit stützenden Kooperation zwischen Internet-Industrie und Staaten zu Gunsten der Nutzung technologisch Fortschritts.

Nach den Teilen I: „Ein Sturm zieht herauf“ und II „Die Zukunft des Verbrechens“ (der Sturm wütet bereits, das Verbrechen agiert bereits), widmet sich der Autor im Teil III Optionen für Linderung, Vorsicht – kurz, Optionen, die Personen, Kollektive, Staaten (Regulierung, Gesetzgebung), Industrie ergreifen können und dringend sollten, um Sicherheitslücken zu schließen, Privatheit von Daten zu ermöglichen, Cyber-Kriminalität das Gros der Möglichkeiten zu entziehen.

Den Leser mag zuweilen spontan fühlen oder denken, der Autor dramatisiere, das sei schon alles nicht so schlimm – doch anstatt ihn als Kassandra zu behandeln, tut jeder gut daran, jedes aufkeimende Bemühen um Verharmlosung aufzudecken und wegzuschieben bzw. in den Papierkorb zu befördern. Nicht Dramatisierung nicht vorhandener Möglichkeiten, sondern das aufrüttelnde Schildern faktischer und sicher kommender Risiken stehen in Rede. Mentale Offenheit verdienen auch jene in Teil III erörterten Maßnahmen, deren idealistische oder ideologische Einbettung der Leser weniger goutieren mag. Angesichts der bereits vorfindbaren und zukünftigen Situation sind, auch das demonstrieren die Ausführungen, die faktischen Möglichkeiten der Sicherheitszunahme und Kriminalitätsbegrenzung beschränkt und verlangen neue Formen der Zusammenarbeit: nicht nur eine evolutive, adaptive ITK-Technologie und –Kultur, sondern auch eine agile und adaptive Reagibilität von Personen, Staaten und Industrie.

Ein Buch, das gerade in Zeiten der naiv-euphorischen Woge von Internet der Dinge (Dienste, Menschen), Industrie 4.0, Smartness 4.0, für jeden jederzeit griffbereit sein sollte und dem zu wünschen ist, dass es insbesondere von jenen gelesen, ernst genommen und als Handreichung für praktische Entscheidungen genommen wird, die als Gestalter und Schlüsselnutzer digitaler ITK-Technologien maßgeblich auch politische und kriminelle Optionen mitbestimmen. Pflichtlektüre für jeden Politiker, IT-Spezialisten im weitesten Sinn, für Unternehmenslenker und Akteure auf dem Feld der Medizin, einschließlich Gesundheitsmanager, -politiker sowie für Akteure im Bereich Primär, Sekundär-, Tertiärbildung, sofern sie mit digitalen Medien arbeiten.

Dr. Regina Mahlmann, www.dr-mahlmann.de, Hanspeter Reiter, www.dialogprofi.d

Regina Mahlmann