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Der Jonas-Komplex

Autor Thomas Glavinic
Verlag Fischer
ISBN 978-3-100-02464-0

Rastlose Suche nach Glück, nach (Selbst-)Verwirklichung: So rutscht in diesem Roman das Verhalten, so rutschen die Bedürfnisse lt. Maslowscher Pyramide deutlich runter, im Wechsel von Alkohol und Kokain (oder im trauten Einklang von Koks und Alk) – und Sex, rastlos auch dabei. Im quasi schizophrenen Parallel-Auftreten dreier „Persönlichkeiten“, im Klappentext definiert als „Erstens die, die er ist, zweitens die, die er zu sein glaubt, und drittens die, für die ihn die anderen halten sollen.“ Und der Jonas-Komplex? Der wiederum definiert laut wiederum Abraham Maslow als menschliche Tendenz, auf Herausforderungen zunächst einmal zurück haltend zu reagieren. Um damit vor allem Risiken, Gefahren und Anstrengungen begegnen, die damit verbunden sein könnten. Das verhindert allzu häufig, dass wir deren Chancen annehmen – was häufig gerade „den Deutschen“ unterstellt wird, übrigens J … Oder wie die WELT schrieb: „Es geht um die „Angst vor der eigenen Größe“ – im Grund also in etwas das Gegenteil von „Hybris“, also Überheblichkeit, Hochmut, Selbstüberschätzung? Vor Jahren las Glavinic nämlich, dass der „Jonas-Komplex“ ein feststehender Begriff aus der Psychologie ist. Der perfekte Titel für sein neues Werk. Seinen gleichnamigen Lieblingshelden schickte Glavinic zuvor durch „Die Arbeit der Nacht“ (2006) und „Das Leben der Wünsche“ (2009), zuletzt 2013 auf den Mount Everest („Das größere Wunder“). Jeder Jonas ein anderer, einzige Konstante war stets nur die Liebe zu Marie. Im neuen Buch erzählt Glavinic zwar wieder von einem Jonas, aber eher in einer Nebengeschichte. Vielmehr dreht sich über ein Drittel des Romans um einen Wiener Autor, der seine Gewissensbisse und Ängste mit viel Kokain, viel Alkohol und viel Sex betäubt. Der sich an die Abgründe der Jugend erinnert, mit seiner Verantwortung als Vater hadert. Der ergründet, wie er zu dem Menschen werden konnte, der er ist.“ Hmm, welcher von den drei dann? So tanzt Leser beim Lesen kapitelweise zwischen eben den 3en hin und her, lernt Jonas´ Zeit als 13-jähriger kennen – und ist gespannt, wie das nur wird, mit dem nächsten großen Ziel (nach Mt. Everest), dem Südpol nämlich, zu dem ihn Marie verlocken will. So fügt sich eine Story zusammen und wird auch gleich wieder zerlegt … Zusammen gefasst vom Verlag wie folgt: „Die Summe eines Jahres, der Querschnitt eines Lebens, das Abenteuer der Liebe. Ein Jahr im Leben eines Wiener Schriftstellers, zwischen Drogen, Alkohol und Frauen. Ein Abenteuer, das Jonas und seine große Liebe Marie bis zum Südpol führen soll. Und ein dreizehnjähriger Junge, der leidenschaftlich Schach spielt, um seinem Alltag zu entfliehen. Dazu Nebenfiguren wie aus einem Tarantino-Film: Ein Anwalt der Hells Angels, ein WingTsun-Großmeister und eine Mörderin, die die Leichen ihrer Liebhaber mit einer Kettensäge zerlegt. Die wirkliche Welt trifft auf die Sehnsucht nach einem anderen Leben … Wer will ich sein? Und habe ich den Mut, die richtigen Entscheidungen dafür zu treffen?“ Welche Protagonist Jonas (welcher nun?!) wie trifft, darauf lasse Leser sich ein, auf satten 748 Seiten. Um auch zu erleben, wie bei allen 3-en wiederkehrende Themen einander überschneidend zum Ende hin … kulminieren, siehe Tod, Kind-Eltern, Südpol. HPR

Hanspeter Reiter