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Das Gender-Paradoxon

Autor Ulrich Kutschera
Verlag LIT Verlag
ISBN 978-3-643-13297-0

Welch sprachlicher Furor und dramaturgisch fast wie ein Kriminalroman komponiertes Sachbuch – auf naturwissenschaftlicher Basis, mit Analysen von Interviews, Courage zu überraschenden Analogien und dezidierten Bewertungen.
Gender-Mainstreaming diskutiert
Der streitbare und konfrontationsfreudige Lehrstuhlinhaber für Pflanzenphysiologie und Evolutionsbiologie an der Universität Kassel und Visiting Scientist in Stanford/Kalifornien führt in einer sowohl sachlich-wissenschaftlichen als auch persönlichen Weise aus, warum das Gender-Mainstreaming und damit verknüpfte Maßnahmen von Universitäten, verschiedenen Ministerien der Bundesrepublik Deutschland, Institutionen auf EU-Ebene sowie mediale Äußerungen zum Gender-Thema (mehrheitlich) als ideologisch (neuerdings auch: postfaktisch) zu klassifizieren sind. Dabei stützt sich der renommierte Experte nicht nur auf unbestreitbare biologische, physiologische und biochemische Fakten, sondern geht zudem Entstehungs-, Geltungs- und Verwendungskontexten der Gender-Logik, -Rhetorik, -Anschauung nach. Zutage fördert er insbesondere den Moneyismus (John Money) als wesentliche Quelle und die bemerkenswert unkritische und affirmative Aufnahme dieser „Lehre“, samt ihrer sektiererisch anmutenden Experimente mit Kindern, durch intellektuelle Frauen wie Judith Butler und all dem, was diese ideologische Strömung an personalen, kollektiven, gesellschaftlichen und kulturellen Folgen zeitigte und noch zeitigt.
Sachliches (Er)Klären
Die naturwissenschaftlich motivierte sachliche Klärung von Ulrich Kutschera beginnt auf sprachlicher Ebene, indem zentrale Begriffe wie „Sex“, „Geschlecht“ und „Gender“ in der biologischen Terminologie definiert werden. Das ist insofern relevant, als diese Begriffe im Gender-Diskurs und der (medialen, privaten) Öffentlichkeit anders, nämlich quasi entbiologisiert und entwissenschaftlicht, verwendet werden und folglich die Basis für Missverstehen bis zu falschen Deutungen und inadäquaten Reaktionen (Maßnahmen, Initiativen, Ansprüche etc.) gelegt wird. Das im Titel genannte paradoxale Momentum hängt auch (!) mit der sprachlichen Verwendung von Termini zusammen und zeigt sich unter anderem in einer Form, die als performativer Widerspruch beschrieben werden kann. Etwa: Zwar seien, so die ideologische These, Männer und Frauen biologisch geschlechtsneutral geboren und erst sozialisatorisch gemacht; sie seien nicht nur gleichwertig, sondern gleich: in der biologischen Ausstattung wie im kognitiven etc. Leistungsvermögen; dennoch müssten Frauen besonders gefördert werden.
Gender medizinisch – Sexus
Die These von der sozialen Konstruktion der Geschlechtsidentität und der prinzipiellen Ressourcen- und Leistungsgleichheit erleidet ferner Schiffbruch im medizinischen Bereich, indem eine Frauenmedizin gefordert oder im Bereich der Erziehung, wo gegen koedukative Einrichtung Sturm gelaufen wird. Die aktuelle Debatte und empirische Untersuchungen im Umkreis von Geschlechtsumwandlungen bei Kindern (!) im Alter von 10 bis 12 Jahren belegt eindrücklich, wie fragwürdig die unterstellte bis geforderte soziale Konstruktivität, Beliebigkeit und vermeintliche Wahl der Geschlechtsidentität als Basishypothese, die als Axiom behandelt wird, ist. Das ideologische Momentum des Gender-Mainstreamings äußert sich in vielfacher Weise, die wahlweise schädlich, kostenextensiv, albern ist – man denke allein an Schreibweisen. Was der fachkundige Autor dringend anrät, schreitet auf nachweisbaren Gründen: Geschlechteradäquatheit oder-gerechtigkeit. Man solle Gender Biomedizin betreiben, so dass geschlechtergerechte Lösungen (z.B. Medizin), geschaffen werden können. Um die ideologische Logik hervorzuheben, stellt der Lehrstuhlinhaber eine (logische, paradigmatische) Analogie her zwischen Gender-Mainstreaming und Kreationismus. Das ist kühn, und der Leser muss nicht jeder Bewertung zustimmen.
Fazit. „Ganzheitlicher“ Blick
Kühn und berechtigt, von einem Metastandpunkt aus, nämlich von dem Standpunkt des Paradigmatischen oder der Grundlogik. Das Buch enthält Redundanzen – die indes durchaus lehrreich sind, weil sie die Thesen, Fakten, Bewertungen immer wieder verändert kontextuieren und so deren Aussagespektrum zu einem größeren Anteil abdecken. Die Analyse von Interviews, die mit dem Autor geführt werden, bieten insofern intelligente Unterhaltung, die zudem demonstriert, dass auch ein Professor allgemeinverständlich erläutern kann. Nur Mut: Wer Freude an Kontroverse hat, greife zu diesem Buch. Ebenso jener, der nicht dem Mainstream folgt, sondern sich angesichts der staatlich finanzierten und von den meisten Medien unterstützten Initiativen und Resultaten, die die Gender-Ideologie hervorgebracht hat, inzwischen ärgert oder schlicht genervt ist und nach Argumenten sucht. Schließlich auch jene, die die argumentative Dünnhäutigkeit der Gender-Anhänger nachdrücklich ausweisen möchten. Vielleicht ermutigt der Hinweis, dass der Tenor des Buches keinesfalls exotisch ist. Das können Amazon-Titel zeigen. Indes ist es ein Essay, der naturwissenschaftlich fundiert ist und auf diesem Boden ideologiekritische Ausführungen macht. Ein Glossar, ausführliche Quellen- und Literaturangaben und eine Website-Adressenliste erleichtern das Nachprüfen und Vertiefen.

Dr. Regina Mahlmann, www.dr-mahlmann.de

Regina Mahlmann