Das Café der Existenzialisten
Autor | Sarah Bakewell |
Verlag | C.H.Beck |
ISBN | 978-3-406-69764-7 |
Lehrreich und unterhaltsam erzählt die Autorin Sarah Bakewell eine Geschichte darüber, wie existenzialistische Philosophie bzw. Phänomenologie Eingang in die Lebenswelt erhielt. Dabei kombiniert sie biographische und gesellschaftspolitische Entwicklungen, Anekdoten und persönliche Erlebens- und Sichtweisen, die ihre Begeisterung und damit verbundene Parteilichkeit für bestimmte Figuren verständlich machen.
Bereits die Skizze der Anfänge existenzialistischer Philosophie, die Phänomenologie bei Husserl und Heidegger, ist spannend zu lesen, weil Sarah Bakewell im Verlauf ihrer Schilderungen philosophische Überzeugungen mit den persönlichen Lebenswelten und Haltungen der Begründer kombiniert und auch die Auseinandersetzung der beiden Autoritäten miteinander lebendig darstellt.
Die Lebendigkeit der Erzählung speist sich zudem daraus, dass die Autorin nicht strikt chronologisch vorgeht, sondern inhaltlich Verbindungslinien verfolgt, so dass die Beziehungen, sowohl persönliche als auch ideelle, immer wieder vergegenwärtigt und die wichtigsten Figuren präsent gehalten werden.
Wie im Titel des Buches sichtbar, kreist ihr Hauptinteresse um die französischen Varianten existenzialistischer Philosophie als Lebensform. Jean Paul Satre und Simone de Beauvoir nehmen unter dem Personal den prominentesten Platz ein. Die Schilderungen offenbaren die Bewunderung der Autorin, die ihre Protagonisten auch dann verteidigt, wenn diese offenkundig borniert, gedanklich festgefahren und politisch wie ethisch fragwürdig agieren. Hier finden sich auch die meisten psychologisierenden Erläuterungen, die die Sympathie des Lesers erhalten sollen.
Wenn auch das Zweigestirn das Zentrum bildet: Sarah Bakewell widmet sich auch anderen Personen, insbesondere dem Phänomenologen Maurice Merleau-Ponty, dessen Persönlichkeit und Philosophie in Fachkreisen und Psychologie weit prägendere Spuren hinterlassen hat und gegenwärtig insbesondere in der Embodiment-Konzeption fruchtbar gemacht wird. Pointiert hebt die Autorin auch ab auf die charakteristischen Unterschiede in der Persönlichkeit und im Denken dieses Philosophen, im Vergleich zu Satre und de Beauvoir.
Andere einflussreiche Figuren finden Erwähnung, etwa Karl Jaspers, Emmanuel Levinas, Franz Brentano, Albert Camus, Jean Genet. Und natürlich Raymond Aron, dem Satre und de Beauvoir die Begegnung mit der existenzialistischen Philosophie verdanken: Die Café-Szene, in der Raymond Aron daraufhin weist, das Reden über einen Aprikosencocktail sei Philosophie, wird als Auslöser für die existenzialistische „Bewegung“ betrachtet.
Trotz der Suggestion, die der Titel bereithält: Eine friedliche, stets konstruktive Kultur des Miteinander-Philosophierens bietet die Geschichte keinesfalls. Nach den Anfängen und der Euphorie darüber, eine philosophische Lebensform gefunden zu haben, folgen unterschiedlich begründete Ernüchterungen und damit Gabelungen, Differenzen, unüberbrückbar verschiedene Sicht- und Lebensweisen, Zerwürfnisse, die auch in Abbrüchen von Freundschaften mündeten.
Das stilgebende Prinzip, Ideelles mit Biographischem und Politisch-Gesellschaftlichem zu verknüpfen, ergänzt Sarah Bakewell um Bezüge zu Filmen und Literatur. Auf diese Weise schildert sie ihre Deutung der Einflusssphären existenzialistischer Philosophie. Mitunter gewinnt der Leser indes des Eindrucks eines Zuviels und der Überdehnung.
Doch das schmälert das Lesevergnügen keinesfalls; denn spätestens nach Beendigung der Lektüre findet sich der Leser inspiriert, zumindest zu diesem: über die eigene Sicht auf das menschliche Leben, die persönlichen Präferenzen und Ambitionen, die eigene Lebensführung nachzudenken.
Dr. Regina Mahlmann, www.dr-mahlmann.de