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Theodor Chindler – Roman

Autor Bernard von Brentano
Verlag Schöffling
ISBN 978-3-895-61488-0

Der 1936 erstmals erschienene, 1979 als achtteilige Fernsehserie ausgestrahlte und 2014 neu aufgelegte Roman ist ein politischer, der die Katastrophe des Ersten Weltkriegs eingebettet in eine Familiengeschichte aus dem katholischen Bildungsbürgertum schildert.

Ein Roman à la Buddenbrooks
„Theodor Chindler“ war der erste Roman des Journalisten, Dichters, Essayisten Bernard von Brentanos und wird als Klassiker in einer Reihe mit Thomas Manns „Die Buddenbrooks“ genannt und von Zeitgenossen wie Thomas Mann und Berthold Brecht hochgelobt. Das liegt u.a. an der Verflechtung eines Familienlebens, das sich nicht zuletzt infolge der Wirkungen, die das politische und das Kriegsgeschehen auf die einzelnen Mitglieder hat, dramatisch entwickelt – trotz der etwas holzschnittartig charakterisierten Protagonisten, die eher Typen als Individuen darstellen. Theodor Chindler ist Geschichtsprofessor und Zentrumsabgeordneter, mehr oder weniger Monarchist, Parlamentarier aus Überzeugung und Katholik, verheiratet und hat drei Söhne, von denen zwei im Krieg dienen, einer im Roman irgendwann keine Rolle mehr spielt, und eine Tochter, die sich – ähnlich wie seine Schwiegertochter – jenseits bürgerlicher Schicklichkeit verhält.

Geschichte(n) vom Scheitern?
Theodor Chindler scheitert (fast) drei Mal: an sich selbst (Ansprüche an sich selbst, sowohl im Privatleben als auch in seiner politischen Funktion), in oder an seiner Ehe mit einer Frau, deren Lebensphilosophie und Selbstdefinition sich von der seinen drastisch unterscheidet, und politisch versagt er an seinem Bemühen, den Parlamentarismus im Reichstag insoweit zu realisieren, als er die Abgeordneten zu motivieren sich bemüht, die Realitäten des Krieges zu sehen, gegen einen U-Boot-Einsatz und Eintritt der USA in den Krieg zu stimmen und sich gegen das Diktat der sich omnipotent generierenden Generäle zu stellen, deren Unprofessionalität und Inkompetenz schlicht geleugnet wird. Nicht Militarismus und Untertanengeist, sondern Parlamentarismus und demokratische Gepflogenheiten. Gerade in dem Moment, in dem er seinem politischen Treiben Sinnlosigkeit und Erfolglosigkeit attestiert, wird ihm ein Ministerposten angeboten, den er – zur Freude seiner Gattin und zum „Glück“ seiner abtrünnigen Tochter – annimmt. Diese bricht aus dem bürgerlichen Leben aus, indem sie als Krankenschwester arbeitet, dort einen Mann kennen und lieben lernt und mit ihm die sozialistische oder Arbeiterbewegung.

Mehr als Zeitgeschichte
Der Roman skizziert in seiner Verflechtung verschiedene An- und Einsichten zum Krieg, zum kläglichen Versagen der so genannten Eliten, deren Borniertheiten und unpolitische Egoismen in Diskussionen unter Abgeordneten und Unternehmern illustriert werden. Durch seine zwei Söhne, die im Krieg an unterschiedlichen Fronten dienen, fächert der Autor unterschiedliche An- und Einsichten auf, die durch Kriegserlebnisse hervorgerufen und bei einem Sohn auch privat durch dessen unkonventionelle Frau verstärkt werden. Der Roman ist nur ein Zeitroman zum Ersten Weltkrieg, sondern in seinen grundsätzlichen politischen Überlegungen zur Funktion von Eliten hochaktuell.

Hanspeter Reiter