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Waldes Dunkel

Autor Nicole Krauss
Verlag Rowohlt
ISBN 978-3-498-03576-1

Ist das nun ein fantastischer Roman, wie er apostrophiert wird, also Fantasy? Oder vor allem autobiografisch – die eine Protagonistin heißt ja sogar wie die Autorin? Jedenfalls geht es Israel, Judentum, Rückkehr aus der Diaspora – und um Kafka, sein Werk, sein Sterben. Oder gar sein Weiterleben, gesundet im warmen Klima, vier Jahrzehnte lang .. „Ein vom Leben enttäuschter reicher New Yorker Anwalt und eine Schriftstellerin mit Eheproblemen machen sich auf die Suche nach dem Unbekannten in sich selbst und finden in der Wüste Israels überraschende Wege, über sich, ihre Träume und die Welt hinaus ins Unendliche zu schauen.“ Und vor allem ins Unwirkliche…

Waldes Dunkel?!
Wald kehr immer wieder – und in dem einen der beiden Erzählstränge, die scheinbar völlig unabhängig voneinander entstehen, geht es auch darum, einen wieder aufzuforsten: „Jules Epstein, 68, einst Beweger und politischer Macher mit übergroßem Ego, gerät nach der Scheidung von seiner langjährigen Frau aus dem Tritt. Zum Schrecken seiner Kinder verschenkt er den größten Teil seines Vermögens und möchte den Rest in eine Stiftung zum Gedenken an seine verstorbenen Eltern stecken. Am liebsten würde er den seit 2000 Jahren abgeholzten Mount Hebron in Israel aufforsten lassen. Schon im Flieger allerdings lernt er einen Rabbiner kennen, der ein Treffen sämtlicher lebender Abkömmlinge von König David plant und darauf besteht, Epstein gehöre zu dieser traditionsreichen dynastischen Linie. Epstein versucht, den versponnenen Rabbi loszuwerden, aber dann trifft er auf dessen verführerische Tochter, die in der Wüste Negev einen Film dreht…“. Wobei offen bleibt, ob Epsteins versprochenes Investment noch kommt – und überhaupt, wo ist er abgeblieben?

Flucht vor der Familie
… das ist es, was die beiden Protagonisten zu verbinden scheint. Denn auch „Die junge Autorin Nicole aus Brooklyn lässt nach einer Epiphanie in der Küche, bei der sie sich nur noch als nutzloses Staubkorn im Multiversum sieht, ihre Familie zurück und flieht ins Hilton von Tel Aviv, wo sie seit ihrer Geburt jedes Jahr gewesen ist. Ein Ort der Ruhe, hofft sie, an dem sie sich wiederfinden kann. Doch ein emeritierter Literaturprofessor mit dubioser Mossad-Vergangenheit lauert ihr ständig auf und bedrängt sie, ein unvollendetes Drama fertigzuschreiben, das angeblich von Kafka stammt. Und während aus den Palästinensergebieten Raketen über den nächtlichen Himmel ziehen, landet Nicole, irregeleitet vom sinistren Professor, allein in einer Hütte in der Wüste Negev. Auf dem Schreibtisch nur zwei Dinge: eine alte Schreibmaschine und ein Bildband, betitelt „Die Wälder Israels“.“ Doch wo ist er abgeblieben, Friedman? Verschwunden wie parallel Epstein? Und schließlich schließt sich hier der Kreis, im Hilton Tel Aviv, wo Nicole zunächst gelandet war – oder gar: gestrandet…

Alles Kafka oder was?
Wenn auch der Buchtitel lt. der Autorin Dantes Göttlicher Komödie entnommen ist, dreht sich doch ein Großteil des Geschehens um Kafka: Mit vielerlei Zitaten und Blicken aufs Umgehen mit seinen Texten. Auch und gerade in Israel. Deshalb besonders lesenswert – auch und gerade in der aktuellen Zeit … HPR

Hanspeter Reiter