Digitaler Humanismus: Eine Ethik für das Zeitalter der Künstlichen Intelligenz
Autor | Julian Nida-Rümelin, Nathalie Weidenfeld |
Verlag | Piper |
ISBN | 978-3-492-05837-7 |
Der Titel irritiert; denn ein Humanismus, der digital ist, scheint eine Metapher, eine Art Wolpertinger zu sein. Erläutert wird die Kombination eher indirekt. Der Name „Digitaler Humanismus“, den das Ehepaar Julian Nida-Rümelin und Nathalie Weidenfeld, nutzen, kann als Kompromiss durchgehen, der das Beste beider Welten vereint (in diesem Sinn besonders, wenn auch vage, dem Schlusswort entnehmbar, ferner verstreut im Text, insbesondere um klar zu stellen, dass es nicht um Maschinenstürmerei geht). Der Name kann auch als Begriff, der Synergie bezeichnet, aufgefasst werden, was hieße, sowohl das jeweils Erwünschte beider Welten zu realisieren als auch etwas darüber hinausgehend Neues, das einen Mehrwert, eine neue Qualität, eine emergente Innovation zulässt. Dass dies nicht der Transhumanismus ist, stellt das Autorenduo allerdings klar.
Auf einen kurzen Nenner gebracht, wenden sich der Philosoph und die Filmwissenschaftlerin vor dem Hintergrund eines aufgeklärten Humanismus mit seinen Werten der Moderne gegen zweierlei: dagegen, dass Rechnern bzw. Rechnungsformel (Algorithmen) Intelligenz, Ethos, Emotionalität zugetraut oder zugeschrieben werden – trotz der Bezeichnungen Artificial und Emotional Intelligence bzw. Computing und „Technikethik“. Alles, was Maschinen können, ist, simulieren und insinuieren, sozusagen so tun als ob. Mehr als dieses Als-ob können sie nicht leisten – gleichgültig, wie „perfekt“ sie imitieren, sich selbst reproduzieren, Entscheidungen treffen etc.. Ebenso wenig können sie kognitiv im menschlichen Sinn verstehen, erkennen, begreifen, bewusste und intentionale Akte vollbringen. Menschen sollten sich nicht in die Irre führen lassen und darum sorgen, dass Computer, Roboter & Co ihnen den Rang als höchstentwickelte intelligente Lebensform der Erde streitig machen können.
Das mag beruhigen; allerdings wäre es empfehlenswert, den gesamten Horizont der bisherigen Debatte dazu zu umreißen. Denn es gibt durchaus unterschiedliche Auffassungen und Begründungen, die das Gegenteil plausibel machen. Den einen und anderen Hinweis geben die Autoren selbst, etwa mit Chalmers „Brain in the Tank“ oder dem Film „WALL-E“, der den sehr lesenswerten Roman von E. M. Forster, „ Die Maschine steht still. Hoffmann & Campe, Hamburg 2016), erschienen 1909 (!), im Grundgedanken nachbildet und schlussendlich auf Platons Höhlengleichnis zurückgehen mag.
So weit, so bekannt, wenn auch unterlegt mit dem einen und anderen philosophischen Zitat, Argument, Begründungsstrang. Der philosophische Part fällt bedauerlicherweise kurz aus, obgleich exakt dies einen Unterschied zu anderen Abhandlungen mit dem gleichen Ton kennzeichnete und der Leser an der sicherlich breiter als im Buch dargestellt vorhandenen Expertise gern mehr partizipierte.
Zwar formuliert der Autor, keine wissenschaftliche Abhandlung vorlegen zu wollen – was in der Tat gelungen ist. Allerdings auf Kosten von Tiefe, Erörterung von Grundlegendem, der Explikation der welt-, lebensanschaulichen, erkenntnistheoretischen und ethischen, normativen Orientierung, die als Fundament der Ausführungen die Perspektive(nvielfalt) der Betrachtung lesbar einschränkt (vereinseitigt). (Vielleicht spielt die ehemalige politische Aktivität des heutigen Philosophiedozenten als ehemaliger Kulturstaatsminister eine Rolle, wodurch auch die Breite der Aspektpalette (Kapitelthemen) und Plauderei zu sattsam bekannten Fragestellungen erklärbar sein könnte.) Dennoch: Es gibt zahlreiche Passagen, die als philosophische oder philosophierende erhellend sind, Kontroversen zumindest andeuten, verschüttetes Wissen an die Oberfläche befördern. Ihnen ist anzumerken, dass der Autor dem Leser durchaus mehr hätte zutrauen können.
Bereichernd und für viele Leser gewiss neu sind die Beiträge von Nathalie Weidenfeld, die Ausführungen mit filmwissenschaftlicher Deutung von Filmen mental ausweitet. Dieser Zweig kulturwissenschaftlicher Lesart erscheinen Digitalisierung und deren Folgen für das Denken, Fühlen, sinnliche und emotionale Wahr-, Fürwahrnehmen und Verhalten von Menschen noch einmal in einem anderen Licht – und können sensibilisieren für die dort lauernden Ideologien und Einflussnahmen. Anhand diverser eher mehr als weniger bekannter Filme (z.B. „I Robot“, „Matrix“) illustriert Nathalie Weidenfeld die Erörterungen im jeweils behandelten Themenfeld und hebt hervor, welche Anschauungen dem Publikum mitgeteilt werden, mal sublim, mal offen. Es gibt gewiss zahlreiche Leser, die sich von diesen Beiträgen mehr und längere wünschen– und nun angeregt werden, in der entsprechenden Literatur zu suchen.
Wer auf dem Themengebiet kundig ist, wird bemängeln, dass die Skizze der Autoren nicht (immer) den gegenwärtigen Stand öffentlichen Nachdenkens von Fachleuten und Intellektuellen unterschiedlicher Disziplinen widergibt. Wer Fokus auf zentrale grundlegende Fragestellungen legt, erhält mehr als nur Stichworte zum weiteren Nachdenken – verankert möglicherweise an der Frage, inwiefern es sinnvoll ist, von einem „Digitalen Humanismus“ zu sprechen.