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Maschinen wie ich

Autor Ian McEwan
Verlag Diogenes
ISBN 978-3-257-07068-2

SciFi?
Es scheint, als könne sich der Erfolgsautor nicht recht entschließen, was er schreiben möchte: Einen Roman oder einen Essay zum Thema Ethik in der Robotik bzw. Moralität und Zurechenbarkeit von Roboter, präzis: Androiden im Verhältnis zu Menschen – und damit um jenen Grundkonflikt oszilliert, der seit einigen Jahren interdisziplinär unter dem Etikett Maschinenethik kontrovers diskutiert wird? Oder einen Science Fiction Roman, der dann allerdings überraschend in die frühen 1980er verlegt ist? Oder einen Konzeptroman in einem historisch kontrafaktischen Umfeld von Politik und Personal mit Fokus auf politische Argumentationen, Meinungen und Gefühlsäußerungen sowie – aus aktuellem Anlass – ethischen Reflexionen? Oder einen Liebesroman in der Tradition der ménage à trois, wobei der dritte im Bunde ein selbstlernender Android ist, der sich von Menschen nur dadurch unterscheidet, dass er klüger, wissender, prinzipialistischer ist? Oder einen Entwicklungsroman, der zeigt, wie der Ich-Erzähler dank des Androiden erwachsen wird?

Die Geschichte
Charlie, der Ich-Erzähler und Alan Turing-Fan, kauft sich einen der ersten Androiden. Da er „Eve“ nicht mehr erhält, nimmt er einen „Adam“ – Androiden, die im Roman ein besonderes Schicksal erleiden. Zusammen mit seiner Nachbarin und späteren Ehefrau, Miranda, programmieren sie (so glauben sie) Adams Persönlichkeit. Die eher psychisch und emotional verankerte Dreiecksbeziehung, die körperlich nur zwischen zwei Akteuren besteht, wurzelt vor allem darin, dass sich Adam in Miranda verliebt und beide miteinander Sex haben. Allerdings zeigt sich, dass sich Adam dennoch nicht korrumpieren lässt und – ein Geheimnis Mirandas lüftend – sich für Recht statt Rache, positives Gesetz statt kontextgebundener Moralität entscheidet und damit nicht nur gegen Charlie und Miranda opponiert (und sich eigenständig durch Alleinentscheidung durchsetzt), sondern auch die Adoption eines Jungen durch Charlie und Miranda aufs Spiel setzt.

Androide, Mensch und Ethik
Der erwähnte Grundkonflikt hat zwei dominante Facetten im Roman. Der eine zeigt sich in erwähnten Eigenmächtigkeit des Androiden und seiner rationalen, an Recht und Gesetz sich orientierenden Beurteilungsreferenz gegen individualisierende Moralität gegen positives Recht. Die zweite Facette wird vorzugsweise in den Gesprächen zwischen Charlie und seinem Idol, Alan Turing, sichtbar, der übrigens im Roman keinen Suizid begangen hat (faktisch brachte er sich 1954 nach einer Hormonbehandlung, die ihn von seiner damals strafbaren Homosexualität hat heilen sollen, um). Im Roman lebt der berühmte Mathematiker und Kryptoanalytiker, hat die Hormontherapie verweigert, arbeitet als Experte auf seinem Gebiet und lebt mit seinem Partner zusammen. Im Roman ist es Alan Turing, der expressis verbis Adam (Androiden) als Mensch behandelt und Charlies Vernichtung von Adam als Mord beurteilt sehen möchte. HPR www.dialogprofi.de www.gabal.de

Hanspeter Reiter