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Talisman

Autor Yoko Tawada
Verlag Konkursbuch
ISBN 978-3-88769-096-0

„Literarische Essays“ sind geboten, durchaus belletristisch, im Sachbuch… Kreativ-spielerisch mit Wörtern umgehen, das erlaubt sich die Autorin – und regt ihre Leser an, Gleiches zu versuchen.

Übertragen fürs Verstehen
Übersetzen, Metaphern verstehen, sich hinein versetzen: All das passiert, wenn wir Sprache anwenden, sei es verbal sprechend, sei es schreibend. Und damit lesend, das passiert hier. Wie die Autorin „tickt“, versteht Leser umgehend, siehe Seite 15: „In der Muttersprache sind die Worte den Menschen angeheftet, so dass man selten spielerische Freude an der Sprache empfinden kann… In einer Fremdsprache hat man aber so etwas wie einen Heftklammer-Entferner“, der der Ausgangspunkt ihrer fast schon philosophischen Überlegungen an dieser Stelle ist – Augen zwinkernd, wie durchgängig…

Sprache ist konkret
… so nimmt jedenfalls die Autorin sie wahr (wie sich das (nicht) darstellt, siehe etwa S. 42f.) – und so präsentiert sie sie im Buch. Denn „das Interessante liegt im Zwischen, sagte Yoko Tawada in einem Interview. Zwischen den Worten, zwischen den Menschen, zwischen den Kulturen. Es geht um Bleistifte, Bürogegenstände, um die Bedeutung von drei mal auf Holz klopfen, um Frauen und Ohrringe, um Aufkleber als Talisman und Abwehrzauber, um Seelen, das Übersetzen und vieles mehr. Wie eine Ethnologin betritt sie ein fremdes Land (FAZ) und sieht alles mit absichtlich naiven Augen, als hätte sie noch nie etwas von diesem Land und seinen Gebräuchen gehört. Nach der Lektüre lässt sich, wie es ein Rezensent in der Welt formulierte, plötzlich wieder auf den Klang bestimmter Wörter hören, das, was man schon lange nicht mehr ansah, mit neuen Augen sehen.“ Sprache ist also tatsächlich – vielsinnig!

Viel von Japan
… findet sich hier – klar, ist die Autorin doch Japanerin. „Auf dieser ganzen abenteuerlichen Reise erfährt man so viel über uns, über sich , dass man dabei fast übersieht, dass man am Ende plötzlich mehr über Japan weiß, als man je dort vor Ort gesehen und gelernt hat. Und erst hier, an dieser Schnittstelle, tut sich auf, was es mit diesem Buch auf sich hat: Es spielt nicht in Rothenburg ob der Tauber, in Hamburg oder in Tokyo. Es handelt nicht von Europa versus Asien, oder umgekehrt. Es ist ein Buch aus dem Niemandsland, da, wo kein Wort und kein Name und kein Zeichen mehr etwas bedeuten, sondern wo alles in Frage gestellt ist, und wo nur das Empfinden, das Erfahren, das Sprechen selber zählt.“ Und so freue sich Leser darauf, was er bald anders werde sehen können, mithilfe dieses Buchs. Einen Eindruck vermittelt schon das Inhalts-Verzeichnis: Von der Muttersprache zur Sprachmutter – Erzähler ohne Seelen – Ein deutsches Rätsel – Das Fremde aus der Dose – Eigentlich darf man es niemandem sagen, aber Europa gibt es nicht – Talisman (rund um ein Metallstück am Ohr, S. 53ff.) – Lektüre in einer S-Bahn (deutsche Pendler mögen sich ein Beispiel nehmen: „In Tokyo lesen die Menschen … immer in einer S-Bahn. Dort hat man genug Zeit, weil man anoynm ist“ (S. 59) – und weil einem Leser die Mitfahrer immer Platz machen, trotz des Gedränges, voila!) – Die Mineralogie der Liebe – Notizen auf den Lofoten – Im Bauch des Gotthards (wer mag, starte hiermit, S. 96ff., fein die Gedankengänge der Autorin nachvollziehbar machend…) – Sieben Geschichten der sieben Mütter – Sonntag – Der Tag der Ruhe, der Tag der Kühe – Der Klang der Geister – Das Tor des Übersetzers oder Celan liest Japanisch – Über das Holz – Buch im Buch: Das Wörterbuchdorf (Japanisch/Deutsch, S. 65ff. Zentral diese Aussage, nachdenklich machend: „Nachdem ich gelernt hatte, deutsche Literatur im Original zu lesen, stellte ich fest, dass meine Eindrücke keine Täuschung waren. Es muss zwischen Sprachen eine Kluft geben, in die alle Wörter hineinstürzen.“ Voila: aufhalten? Nachspringen? Seil werfen? Entscheiden Sie  …HPR www.dialogprofi.de www.gabal.de

Hanspeter Reiter