American Dirt
Autor | Jeanine Cummins |
Verlag | rororo |
ISBN | 978-3-499-27682-8 |
„Eine Mutter und ihr Kind auf einer atemlosen Flucht durch ein Land, das von Gewalt und Korruption regiert wird“ meint tatsächlich mal ein anderes Land als USA – it´s Mexico…
Migration
…ist in Süd- und Mittel-Amerika inzwischen ein Dauer-Thema – und betrifft auch und gerade „die Mittelschicht“, aufgrund der Drogen-Mafia. So schnell kann´s gehen: „Gestern besaß sie noch einen wunderbaren Buchladen [siehe etwa S. 43ff.]. Gestern war sie glücklich mit ihrem Mann, einem Journalisten. Gestern waren alle, die sie am meisten liebte, noch da. Heute ist ihr achtjähriger Sohn Luca alles, was ihr noch geblieben ist [Ihr Spät-Entwickler, siehe S. 118ff. – und dann mit Insel-Begabung]. Für ihn bewaffnet sie sich mit einer Machete. Für ihn springt sie auf den Wagen eines Hochgeschwindigkeitszugs. Aber findet sie für ihn die Kraft, immer weiter zu rennen? Furchtlos und verzweifelt, erschöpft und jede Sekunde wachsam. Lydias gesamte Verwandtschaft wird von einem Drogenkartell ermordet. Nur Lydia und ihr kleiner Sohn Luca überleben das Blutbad.“ Und machen sich auf den Weg, dem Mafia-Boss zu entkommen…
Menschlich
… sind sie alle, selbst die Unmenschlichen: Der Mafia-Boss rachsüchtig in seiner Rolle, obwohl überraschend intellektuell in seinem Parallel-Sein, in dem Lydia ihn zunächst kennen lernt, als Kunde in ihrer Buchhandlung. Ein überraschend einfühlsamer Thriller, in dem die Autorin eine klare Sprache wählt und Einblick in Denken und Fühlen ihrer Figuren gewährt – und dennoch auf allzu Bildhaftes verzichtet. Fast acht Wochen sind Mutter und Sohn unterwegs, für den Leser auf 550 Seiten erzählt, häufig aus der Perspektive des Sohnes. Sie erleben Grausames und Entsetzliches – und überleben auf ihrem Weg nach El Norte, ins (scheinbar?) „gelobte Land“, die USA. Doch wer alles bleibt auf der Strecke (siehe Schicksale wie das von Beto – seine Lebens-Geschichte auf der Müllkippe von Geburt bis Fluch beispielhaft S. 388ff.), auf langen Straßen, auf dem Dach von schneller und langsamer fahrenden Zügen (S. 314ff. etwa wird Leser ins Eintönige wie Abwechslungsreiche gezogen) – und im Finale der nachts eiskalten und tagsüber brennend heißen Wüste? Exzellent recherchiert, im Grunde eine Dokufiktion (Anmerkungen der Autorin S. 547ff.). Und sehr persönlich, wenn etwa Lydia in extremer Situation sich erinnert, wie sie „vorher“ ihre morgendliche Bad-Routine absolvierte, während sie jetzt froh darüber ist, ein wenig Zahnpasta zu haben (S. 357)… P.S. Dass dieses Werk einer weißen Autorin nun für die Rassismus-Debatte vereinnahmt wird, mag kennzeichnend sein: Wird wirklich unterstellt, sie breite das Leid der Migranten aus, wie etwa die ZEIT das zitiert – oder auch im Artikel „Neues Lesen“ zur Black-Lives-Matter-Bewegung in der SZ vom 04.07.2020 über die Rolle nichtweißer Autoren im Buchmarkt?! Dürfen bestimmte Themen nurmehr von bestimmten Autoren publiziert werden? Tja, was ist das eigentlich – Diskriminierung? Und je aus wessen Sicht? Bei mir jedenfalls ist´s anders angekommen: Als nur allzu realistisches Begleiten einer zur Flucht gezwungenen Mutter und deren Umfeld. Zurück haltend und dennoch deutlich formuliert, mit durchaus kritischem Unterton, etwa gegenüber Trumps Politik: Lesen, eigenes Urteil bilden! HPR www.dialogprofi.de www.gabal.de