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1870/71 Der Mythos von der deutschen Einheit

Autor Tillmann Bendikowski
Verlag C.Bertelsmann
ISBN 978-3-570-10407-1

„Die deutsche Einheit – nur ein Mythos?“ ist hier ziemlich provokant formuliert … Und ist abschließend im Kapitel 10 zusammen gefasst als solcher „entlarvt“… Passend erschienen zum „Jubiläum“ 150 Jahre, viel beachtet und erinnert zudem vor allem die Schlacht von Sedan, siehe etwa den SZ-Artikel vom 05./06.09.2020 „Der Zusammenbruch – … wurde das Kaisertum Napoleons III. vernichtet und das Deutsche Reich Bismacks auf den Weg gebracht.“ Womit Autor Gustav Seibt das Ganze ziemlich auf den Punkt bringt:

Ein Glücksfall für die Deutschen?
Das hinterfragt das Buch auf der Rückseite dieser 350-Seiten-Analyse (plus Anmerkungen, ausführlicher Apparat!). Denn in der Folge früherer Versuche, die Kleinstaaterei zu vereinheitlichen (1848?, 1866) schuf Bismarck zwar mit Verve „sein“ Deutsches Reich – doch bis heute ist das Regionale geblieben, organisatorisch-politisch wie gesellschaftlich-menschlich. Und im Nachklang der „deutschen Wieder-Vereinigung“ 1990 ist schon interessant, die Perspektive des Autors weit im Vorfeld der selben einzunehmen: „Der Mythos von der deutschen Einheit prägt bis heute, so Tillmann Bendikowski, die Sicht der Deutschen auf sich selbst und ihre Geschichte. Zentrales Gründungsdatum dieses Mythos ist der Krieg gegen Frankreich und die anschließende Reichsgründung im Jahr 1870/71. Anhand der eingehenden Schilderung von neun symbolträchtigen Tagen werden entscheidende Abschnitte auf dem Weg zur deutschen Einigung unter Preußens Führung vergegenwärtigt: von der Flucht des Welfenkönigs aus Hannover ins österreichische Exil im Juni 1866 bis – nach der Proklamation des deutschen Kaiserreichs im Spiegelsaal von Versailles – zur Siegesparade fünf Jahre später.“ Verlängern ließe sich das natürlich zum weiteren Geschehen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts (Erster Erdkrieg – Retourkutsche Frankreichs – Nazi-Zeit – Zweiter Erdkrieg)…

Tag für Tag erlebt …
Interessant dieses Konzept, einige konkrete relevante Tage heraus zu greifen und detailreich darzustellen, exzellent recherchiert und fast im Sinne eines New Journalism nacherlebbar erzählt, also Story-telling anwendet: 1866 und 1868 hinführend, Kriegs-Erklärung 13. Juli 1870 „Emscher Depesche“ – und schließlich Kriegs-Entsetzen plus parallel dazu Fortsetzen politischer Querelen bis hin zum Zähne knirschenden OK der süddeutschen Länder, sich Preußen quasi zu unterwerfen… „In der Vitrine der Erinnerung“ fasst These begründet diese wenigen Jahre zusammen, die doch so wirkmächtig waren … Als Schmankerl/Extra enthält das Buch einen 16-seitigen Farbbildteil, der die für die Thesen des Buches wesentlichen Ereignisse jener Zeit visualisiert. HPR www.dialogprofi.de www.gabal.de

Hanspeter Reiter