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Teure Lektionen

Autor Paul B. Carroll
Verlag sonstige
Seiten 352 Seiten
ISBN 978-3-89879-463-3
Preis 34,90

Den Klappentext ziert u.a. ein Zitat, das immer wieder gerne gelesen und wieder gegeben wird, wenn es darum geht, ein expressives Plädoyer für eine Kultur des Fehlermachens zu halten: „In den 1960-er Jahren rief Tom Watson, der damalige Vorstandsvorsitzende von IBM, einen seiner leitenden Angestellten in sein Büro, nachdem dessen Projekt 10 Millionen US-Dollar in den Sand gesetzt hatte. Der Mann nahm an, er werde gefeuert. Watson aber sagte zu ihm: „Gefeuert?? Verdammt, ich habe gerade 10 Millionen Dollar in Ihre Ausbildung investiert. Ich will einfach sicher gehen, dass Sie die richtigen Lektionen daraus ziehen!“ So ist auch die Botschaft dieses Buches: Aus der Analyse von Fehlern kann Leser lernen, warum bestimmte Vorgehensweisen kritisch wirken können. Können – denn es gibt durchaus erfolgreiche Unternehmen (und deren Lenker), die mit identischem Vorgehen das geschafft haben, was die Erfolglosen eben nicht erreichen konnten. Und die sind – lt. Analyse von 750 Prozessen wie etwa „Merger & Akquisition“, was zu Fusionen führt – weit in der Überzahl. Sie erinnern berühmt-berüchtigte Fälle jüngerer Vergangenheit? Daimler-Chrysler z.B. …

Dies sind klassische Vorgehensweisen, aus denen Argumente gezogen werden, andere Firmen zu kaufen – und die von den Autoren als meist „daneben“ erkannt wurden:

  • Synergie – Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile: häufig ergibt 1+1 = 1!
  • Financial Engineering – aggressive Verwendung bilanzieller und finanzieller Mechanismen, neutral ausgedrückt…
  • Roll-Ups: zig regionale Firmen aufkaufen und zu Filialen machen – meist musste das Geschäft nach kurzer Zeit mit hohen Verlusten rückgängig gemacht werden
  • Auf Kurs bleiben. Meint, das bestehende Geschäftsmodell zu extrapolieren statt Entwicklungen mitzumachen, Beispiel Kodak und digitale Fotografie.
  • Adjazenz, also benachbarte Märkte erschließen, meist als „Diversifizierung“ bekannt. Und häufig mehr gequält als sinnvoll, nämlich nur semantisch benachbart (Rasenmäher zu Zement, weil daraus Häuser gebaut werden, zu denen Gärten gehören…)
  • Auf Technologie setzen – und dabei Wettbewerbern unterliegen oder schlicht übersehen, dass eine andere Technologie die bestehende bereits überholt (FAX…)
  • Konsolidierung, weil eine Branche bereits überreif ist: Lieber rechtzeitig verkaufen statt zu versuchen, andere aufzukaufen.

Zu jedem Aspekt liefern die Autoren ausführlich analysierte Beispiele verschiedenster Branchen und machen durch ihre umfassende Schilderung das Geschehen für den Leser erlebbar, etwa auch Musikindustrie (S. 122f.), die mir immer wieder als Muster auch für Medien und Weiterbildung gilt. Als Zwischenfazit gibt es zwischendurch den Kasten „Warnsignale“, die aus den Fehlern zu ziehende Erkenntnisse kompakt zusammen fassen. Genannt sind auch Gesetze wie die von Metcalfe und Reed (S. 193ff.); dort geht es um Netzwerk-Effekte, von denen auch Internetportale profitierten (oder ihnen unterlagen): „… dass sich bei Netzwerken, die die Bildung von Untergruppen erlaubten, zusätzliche Mitglieder noch stärker auf deren Nutzwert auswirken.“ Siehe etwa die andauernde Auseinandersetzung von LinkedIn und Xing auf unterschiedlichen Märkten nach dem Prinzip „Sei mindestens die Nr. 3, besser 2 – oder gar 1; letztlich überlebt dauerhaft nur Nr. 1“…

Am Beispiel „Konsolidierung“ einige relevante Stichworte (S. 220ff.), die für sich selbst sprechen, wie ich meine:

  • Die Unterschätzung der Komplexität, die mit der Größe ansteigt.
  • Die Überschätzung der Kaufkraft, Marktmacht oder anderer Kräfte.
  • Die Überschätzung der Kundentreue.
  • Semantische Spiele.
  • Die Missachtung von Alternativen.
  • Die Überzahlung von Akquisitionen.

Dies zugleich der Abschluss von Teil 1 – es folgt „Das Vermeiden der gleichen Fehler“:
Vorzeitige Festlegung; die Schwierigkeit mit der Abstraktion; der Bestätigungsfehler; Konformismus; Selbstüberschätzung und Verteidigungsmechanismen. Dafür geben die Autoren die Empfehlung, eine Teufelsadvokaten zu bestimmen und begründen das auch mit erfolgreichen Mustern aus der Politik (Kennedy nach missglückter Schweinebucht-Operation im späteren Atomstreit rund um Kuba: Er setzte seinen Bruder Bobby als T. ein). Entscheidend ist das richtige Vorgehen (S. 268ff.):

  1. Erteilen Sie dem T. die Lizenz
  2. Verlassen Sie die ausgetretenen Pfade
  3. Entscheiden Sie zuerst, wie Sie entscheiden
  4. Finden Sie passende historische Vergleiche
  5. Setzen Sie darauf
… womit gemeint ist: fordern Sie den Entscheider dazu auf, mit Ihnen zu wetten: geht er darauf ein, glaubt er wirklich daran. Ansonsten…
  6. Blicken Sie in den Abgrund (worst case!)
  7. Konstruieren Sie Alarmsysteme
  8. Verfügen Sie immer über direkte Kommunikationskanäle
  9. Halten Sie Zweite-Chance-Sitzungen ab (= im Grunde „eine Nacht darüber schlafen“ – allerdings: verändertes Meeting-Szenario einsetzen!).

Und weiter geht´s: Setzen Sie einen Revisor des T. ein – also eine zusätzliche Beobachtungs- und Controlling-Schleife. Womit die Meta-Position zur Meta-Position geschaffen ist, was wir Weiterbildner auch kennen, oder :-) ?! In diesem Sinne neue Perspektiven schaffend für alle, die mit Führungskräfte-Entwicklung, Unternehmensberatung, Teamentwicklung zu tun haben. Voila, lernen Sie aus Fehlern, die andere bereits für Sie gemacht haben!

Hanspeter Reiter