Skip to main content

Die Eroberung Amerikas

Autor Franzobel
Verlag Zsolnay
ISBN 978-3-552-07227-5

„Statt einfach einen historischen Roman zu erzählen, wird hier mit unbändiger Fabulierlust ein provozierendes Gemälde entworfen, in dem Faktum und Fiktion sich bis zur Unkenntlichkeit vermischen“ (FAZ). Na ja, schon erkennbar, wenn der Autor Aktuell-Zeitgenössisches ins Spiel bringt, etwa: Touristen von heute am Strand von Florida  …

Wilde Spanier im 16. Jahrhundert
… sind mehr oder weniger erfolgreich gewesen, in ihrer Jagd nach Gold. Der hier weniger, aus einem „Feuerwerk des Einfallsreichtums: Nach dem Bestseller „Das Floß der Medusa“ begibt sich Franzobel in seinem neuen Roman auf die Spuren eines wilden Eroberers der USA im Jahr 1538.“ Der vorher durchaus schon erfolgreich war und reich geworden ist: „Ferdinand Desoto hatte Pizarro nach Peru begleitet, dem Inkakönig Schach und Spanisch beigebracht, dessen Schwester geschwängert und mit dem Sklavenhandel ein Vermögen gemacht. Er war bereits berühmt, als er 1538 eine große Expedition nach Florida startete, die eine einzige Spur der Verwüstung durch den Süden Amerikas zog.“ Tja, wer den Kragen nicht voll kriegt…?! Jahrelang zieht er kreuz und quer durch nördliche Amerika, lässt sich von Pseudo-Führern aus Indianern wie gefangen gewesenen Spaniern immer wieder die Karotte vor die Nase halten – und so an eben dieser herum führen. Mit ursprünglich 800, zuletzt nur mehr wenigen Begleitern und schrumpfender Schiffs-Flotte – statt in Kuba zu bleiben, wo er seine Frau als Gouverneurin hinterlässt, die zur Untreue neigt. Vielerlei Verquicktes begleitet den Leser, etwa ein Betrüger-Paar, von dem einer eigentlich eine riesige Erbschaft gemacht hat. Den versucht ein Notar zu finden, reist immer hinterher, à la griechischer Mythologie = Achilles und die Schildkröte nach Xenon. Augen zwinkernd verknüpft der Autor zeitgenössisches Geschehen mit dem ein halbes Jahrtausend davor…

Tja, war´s das mit den USA?
Immer wieder eingesprengselt ein Kontra zum damaligen Geschehen, nämlich: „Knapp 500 Jahre später klagt ein New Yorker Anwalt im Namen aller indigenen Stämme auf Rückgabe der gesamten USA an die Ureinwohner.“ Spannung also auf mehreren Ebenen… und allerlei Klischees, mit denen offenbar bewusst gespielt ist: Das Verhalten Indigener, mal so – mal so. Jüdische Spanier – oder auch Anwälte, siehe den oben Angedeuteten. Womit zugleich (für mich jedenfalls) ein Erinnern an gelungene Restitution in der Nazi-Zeit geklauter Kunstwerke getriggert ist: „Franzobels neuer Roman ist ein Feuerwerk des Einfallsreichtums und ein Gleichnis für die von Gier und Egoismus gesteuerte Gesellschaft, die von eitlen und unfähigen Führern in den Untergang gelenkt wird.“ Insofern eine Allegorie auf manches Geschehen auch in der Gegenwart, siehe auch den Umgang mit den indigenen Völkern in Nord- wie Südamerika?! Im Nachwort (S. 541ff. „Danksagung“) erläutert Franzobel die Bezüge von Fakten (den Protagonisten gab´s wirklich) und Fiktion… Wie der Name des Autors, der in Wirklichkeit Franz Stefan Griebl heißt – musste mal gesagt werden  … Alles in allem ein Lese-Vergnügen der besonderen Art: a bissal historischer Roman, ein wenig hohe Literatur, zeitlos. HPR www.dialogprofi.de www.gabal.de

Hanspeter Reiter