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Der Ganze Wahnsinn

Autor Terry Pratchett
Verlag sonstige
Seiten 342 Seiten
ISBN 9 783492 267441
Preis 9,95

Der Band, so der Klappentext, „vereint alle Erzählungen, Artikel und humorvollen Beiträge Pratchetts, vom Beginn seiner Karriere“, im übrigen nicht als Schriftsteller, sondern als Journalist, „bis zu neuesten, auf Deutsch bisher unveröffentlichten Geschichten und schwer zu findenden Raritäten“. Kürzer hätte ich es nicht benennen können.

Für die Nicht-Eingeweihten:Terry Pratchett ist Vater einer von der indischen Mythologie inspirierten Scheibenwelt, die bekanntermaßen von einer Schildkröte durch das All getragen wird, dabei unterstützt von vier Elefanten, die wiederum das Fundament der Schildkröte ausmachen. Pratchetts Fantasy-Welt wird selbstredend von Zauberern, insbesondere solch ungeschickten wie den aus der Unsichtbaren Universität hinausgeschmissen, von einem bösen Zauberspruch angeeigneten und nun als Touristenführer fungierenden Rincewind, dem alles schief geht, der aber – flankiert von seiner vielbeinigen Truhe – immer überlebt. Selbstredend gesellen sich Hexen (drei stehen im Vordergrund), Räuber, Trolle und andere unwahrscheinliche, skurrile, der Fantasie wie der Mythologie entspringende Wesen und deren Beziehungen, humorvoll und schadlos aggressiv-gespannt-freundschaftlich, dazu.

Das ist hübsch und unterhaltsam, wäre jedoch weniger der Rede und des – ja, ich sage es – Kultes um Autor und Welt der Erwähnung wert, wenn nicht in jeder Geschichte oder in jedem Roman, der auf der Scheibenwelt spielt, dem einigermaßen allgemein gebildeten Leser (auf dessen Existenz sich Terry Pratchett verlässt, weil er konzediert, andernfalls überhaupt nicht verstanden werden zu können), Herkunft aus Mythologie oder der Geschichte der Menschen anspringen würde.

Das Bemerkenswerte in diesem Band sind daher weniger die gewiss amüsanten Erzählungen, Miniaturen, humorvollen Briefe, sondern die Artikel, in denen sich der Autor Terry Pratchett vorstellt: ein gewissenhafter, auf solide Fundierung und Bildung, auf schriftstellerisches Können Wert legender Autor, dessen Kennzeichen außer der Ernsthaftigkeit, mit der er seiner Scheibenwelt Gestalt verleiht, auch Ehrgeiz und elitäres Denken – in Bezug auf sich selbst wie auf die Leser – sind. Lehrreich – alle, die „creative writing“-Kurse buchen wollen, können hier schon einmal vorschnuppern – jene Erläuterungen zu dem Stellenwert von Fantasy-Literatur in seiner Jugend wie im Erwachsenenalter und für ihn wie für alle Kinder und Jugendliche; erfreulich seine Neugierde auf Archäologie, Ethnologie, unterschiedliche Kulturen und deren Märchen, Mythen, Legenden sowie auf die Evolution von Biologie (Welt/Erde/Mensch) und Kultur, einschließlich technischer Entwicklungen – sämtlich Materialsammlungen für seine Scheibenweltszenerien.

Auch der spezifische Witz von Terry Pratchett begegnet hier – zuweilen in actu und erläutert. Eine gern und oft genutzte Figur ist die des Wörtlichnehmens; eine weitere ist die des Gegenteils-dessen-was-erwartet-wird und eine dritte ist der TOD, der IMMER SO SPRICHT und dessen Gedanken und Kommentare oder Redebeiträge an Trockenheit und Scharfsinn von keiner der Figuren übertroffen wird.

Wer noch keinen Scheibenwelt-Roman kennt, der sollte sich vor der Lektüre dieses Bandes einen auswählen, den er liest (Tipp: TOD und/oder Rincewind sollten vorkommen); Kenner der Scheibenwelt werden sich wundern, wie viel Lektüre und Recherche, Arbeit, Ernsthaftigkeit und intellektuellen Scharfsinn diese höchst geistreich-amüsanten Texte (ähnlich wie bei dem verstorbenen Adam Douglas) verlangen und hervorbringen.

Für Berater: Einige Textpassagen regen an, die eigene Perspektive nicht nur zu wechseln, sondern erkenntnistheoretische Überlegungen zu starten – etwa, wenn ein Philosoph versucht, TOD über über die Quantenphysik zu täuschen, sodass ER ihn verschonen möge – und TOD ihm u.a. mit Schrödingers Katze zeigt, dass er IHM nicht entkommen wird….

Dr. Regina Mahlmann
www.dr-mahlmann.de
 

Dr. Regina Mahlmann