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Kulturphilosophie, Sommersemester 2007

Autor Welsch, Wolfgang
Verlag sonstige

In Zeiten, in denen von Interkulturalität die Rede ist und interkulturelle Kompetenz gefordert wird, sollten sich in Kontexten von Unternehmen insbesondere Berater und Personaler einige grundlegende Kenntnisse aneignen und Denkweisen üben. Dazu eignet sich das Hörbuch von Prof. Wolfgang Welsch ausgezeichnet.

CD 1 startet mit einer knappen Skizze der Differenz von Kultur und Zivilisation und durchstreift den Wald antiker Auffassungen von Natur und Kultur. Ausführlich widmet er sich Auf- und Abstiegsmodellen anhand von Jean-J. Rousseau (Der 2. Naturzustand ist das zu Erstrebende; nach ihm beginnt die Verfallsgeschichte, Heilung verspricht das Zurück zur Zweiten Natur), ferner Fichte, gefolgt von Immanuel Kant (Die Natur hat einen Plan mit dem Menschen; die Kultur ist als Naturplan immanent); Karl Marx (Natur ist das, was Gesellschaft hervorbringt – Kultur und Natur sind insofern identisch) und Kritische Theorie (v.a. Adorno: Natur als mögliches Korrektiv für Menschkultur).

Auf der CD 2 konzentriert sich der Author auf: auf moderne bis hin zu noch gültigen Auffassungen von Natur-Kulturentwicklung und geht Fragen nach wie: Wie kann sich aus Natur Kultur ergeben? Wie verhält sich beides zueinander? Er diskutiert unterschiedliche Ideen: Kontinuitätsidee oder kumulative Idee: Auf den Leistungen einer Kultur baut die nächste auf; Kultur entwickelt sich bzw. ein Potenzial oder Telos und wickelt sich aus. Das Fortschrittsdenken in der Figur der Evolution hebt sich insofern davon ab, als es (neben neuen Kategorien wie der Kontingenz oder Mutation) evolutiv im Sinn verstanden wird: Menschsein und damit Kultur ist in der Natur schon angelegt, als Keim vorhanden. Diese Auswickelungsvorstellungen beherbergen sozio- und kulturbiologische Argumentationslogik. Es war Herder, der sich zu Beginn bis Mitte 18. Jahrhunderts an der evolutionären Entwicklungsidee versucht, diese ausführt, aber nicht ganz durchhalten konnte. Indes dachte aber bereits in Figur von Übergängen und in der des Eigenwertes jeder Kultur: jede hat ihren guten Sinn. Mit diesem Nebensatz ist ein weiterer Aspekt angesprochen, den Wolfgang Welsch beleuchtet: den der Diversität von Kultur. Doch zunächst zu einer weiteren Vorstellung von der Fortschrittsbewegung von Natur-Kultur-Verhältnis oder der Kulturentwicklung. Der Kontinuitätsidee folgt die Rede von Umbrüchen und Paradigmenwechseln á la Thomas S. Kuhn (Kultur wissenschaftlicher Revolutionen). Sie steht zu der Idee der Kumulation (das eine geht aus dem vorhergehenden hervor und sattelt drauf) konträr. Wolfgang Welch folgt dieser Linie bis in die heutigen Tage und in Diskussionskreise, in Mensch und Technologie bzw. Technik verbinden (Cyborg, Robmensch etc.).

Nachdem es differente Vorstellungen davon gibt, wie Natur und Kultur zusammenhängen und ob die Kulturentwicklung eine stetige Folge von Entwicklungsschritten oder doch in Revolutionen stattgefunden hat, bietet der Autor einen Aspekt an, der weitere Debatten auslöst: Wie kommt es zu Kultur-Diversität, und wie verhalten sich unterschiedliche Kulturen zueinander? Welsch zitiert unter anderem Herder, der – heute erhielte er Beifall – etwa geographisch-klimatische Gründe hervorhebt. Herder plädiert (wie bereits einige „alten Griechen“) für eine bestimmte Sicht kultureller Diversität: Er sieht ein Streben nach Ausgleich der Kulturen unter dem Vorzeichen wechselseitiger Bereicherung, etwa von Strategien, um dieselben Lagen zu behandeln; z.B.: Wut über eine Ungerechtigkeit: der eine wütet, vandaliert, geht nach außen mit der Wut, der andere meditiert: differente Strategien, die ein Mensch beide lernen könnte. Im Rahmen dieser Fragestellung nach Gründen für Kulturunterschiede lernt der Hörer kurz Montaigne, Montesquieu und Voltaire diesbezüglich kennen. Bereits diesen „Kulturrelativisten“ war klar, dass es stets die eigenen Wurzeln sind, die den Blick auf fremde Kulturen imprägnieren – auch dann, wenn wir versuchen, diese aus deren Blickwinkel zu betrachten. Nach Schiller (ästhetische Erziehung im Sinn von Lebenskunst, diese im Sinn von Syn-Ästhesie und Syn-Ergie als Zusammenwirken von Sinnlichkeit und Intellekt) gibt uns Wolfgang Welsch einen Eindruck in die an diese Sichtweise anschließenden R. Wagner, der im Gesamtkunstwerk die Auflösung des Kantischen Antagonismus von Natur und Kultur, von Gefühl und Verstand sah.

Der Kulturrelativismus im 20. Jahrhundert wird den Hörern näher gebracht anhand von Ruth Benedict, Eduard Sapir und dessen Schüler Benjamin Lee Whorf. Während Sapir den linguistic turn in der Ethnologie mitvollzieht: Sprache, Begriffe sind der Humus für Kultur oder Lebensformen, wendet Whorf aus anthropologischer Sicht den linguistic turn grundsätzlich epistemisch und ästhetisch (Wahrnehmung): Nicht erst determiniert Sprache unser Denken, Fühlen, Handeln, sondern bereits vorher sei unser Wahrnehmungs- und Erkenntnisvermögen kulturell präformiert.

Die Frage der Verträglichkeit differenter Kulturen geht in der Position der Kommensurabiltät bzw. Inkommensurabilität: auf. Ersters meint: es gibt Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten; letztere behauptet eine radikale (!) Differenz zwischen Kulturen. Welsch erteilt der Aussage der radikalen eine herbe Absage – und wie er argumentiert, möge der Leser dieser Rezension selber hören. Es ist ein intellektuelles Vergnügen. Zumal der Diskurs zu Kommensurabiltät bzw. Inkommensurabiltät endlich die Tür zu dem öffnet, was Wolfgang Welsch auch in Buchform verteidigt: zum Modell der Transkulturalität. Sie ermöglicht Übergänge und Anschlüsse; sie erscheint als Bedingung der Möglichkeit, plurale Lebensformen gesellschaftlich realisieren zu können..

Zu meinem großen Bedauern, beendet der Professor der Theoretischen Philosophie diese Vorlesung aus Gesundheits- (eigentlich müsste es heißen: aus Krankheits-) Gründen vorzeitig. Ich hoffe sehr, dass es zu dieser Vorlesung einen weiteren Teil geben wird – und empfehle, es sei betont, dieses Hörbuch all jenen, die sich mit interkulturellen Fragestellungen befassen.

Dr. Regina Mahlmann
www.dr-mahlmann.de
drmahlmann@aol.com

Dr. Regina Mahlmann