Skip to main content

Im Spiegel der Sprache

Autor Guy Deutscher
Verlag sonstige
Seiten 320 Seiten
ISBN 978 3 406 60689 2
Preis 22,95

Guy Deutscher, Linguist und Autor des viel beachteten Buches „Du Jane, ich Goethe. Eine Geschichte der Sprache“ (2008), hat gute Chancen, wieder ein Buch geschrieben zu haben, das eine breitere Öffentlichkeit lesen wird. Lohnenswert ist es allemal: informativ, zum Nach- und Mitdenken dort anregend, wo Sprachphilosophen und Linguisten den Zusammenhang von Natur und Kultur debattieren, und zudem höchst ansprechend, fließend in Wort und Ton, geschrieben. Zuweilen meint man, einen spannenden Roman zu lesen. Worum geht es?

In der ausführlichen Einleitung fasst der Autor die Hauptlinie der Kontroverse zwischen Philosophen und Linguisten (als Hauptakteure) zusammen, die sich um das Verhältnis von Natur und Kultur von Sprache überhaupt, von Nationalsprachen und damit darum dreht, ob und inwiefern Sprechen und Denken miteinander zu tun haben. Leser, die mit der heutigen Diskussion sprach- und kulturphilosophischer Überlegungen ein wenig vertraut sind, werden zwar „Blinde Flecken“ in der Darstellung von Guy Deutscher entdecken. Das stört jedoch nicht – schon gar nicht stört es den Hauptgedanken des Autors, der als These ebenfalls in der Einleitung formuliert ist: „In diesem Plädoyer für die Kultur werde ich die Auffassung vertreten, dass sich kulturelle Unterschiede auf tiefgreifende Weise in der Sprache widerspiegeln und dass eine wachsende Menge verlässlicher wissenschaftlicher Forschungsarbeiten jetzt solide Beweis dafür liefert, dass unsere Muttersprache die Art und Weise, in der wir denken und die Welt wahrnehmen, beeinflussen kann.“ (15) Und diese Beeinflussung gilt vor allem diesen Bereichen: dem Gedächtnis, der Aufmerksamkeit, der Wahrnehmung und den Assoziationen (32).

Im englischen Titel erscheint das, was Guy Deutscher in seinem ersten Teil „Die Sprache als Spiegel“ macht. Er zeigt anhand von Farbwahrnehmung und Versprachlichung derselben „how words colours your world“. Hier nimmt der Autor den Leser an die Hand und führt ihn anhand der Frage nach sprachlichen Farbwörtern und Farbeinteilungen mit Hilfe von Anekdoten, Forschungen und Kontroversen unter Philologen, Sprachwissenschaftlern, unter Psychologen und Anthropologen Erkenntnissen, in welchen Hinsichten sich Natur und Kultur in Sprache spiegeln. Etikette sind kulturelle Konventionen, allerdings basierend auf Bezügen zu Natürlichem.

Im zweiten Teil fragt der Autor nach Einflüssen der Muttersprache auf die Art und Weise, wie Menschen denken. „Die Sprache als Linse“ folgt wieder einer Kontroverse, die Sprach- und Kulturphilosophen ebenso vertraut ist wie Sozio-Linguisten. Guy Deutscher schildert Indizien, die dafür sprechen, dass Sprache auch unser Denken jenseits der Sprache, unser Handeln, beeinflusst. Etwa anhand von Sprachen, die entweder das Subjekt zentrieren und damit die Welt vom Individuum aus sehen und verstehen, oder die das Subjekt in seiner Relationalität oder Sozialität begreifen und damit die Welt aus einem relativistischen Blickpunkt betrachten (europäische versus asiatische Sprachen, etwa). Drei Ergebnisse stellt er heraus: räumliche Koordinaten wirken auf Gedächtnismuster; das grammatische Genus wirkt auf Assoziationen und Farbbegriffe erhöhen die Sensibilität für Farbdifferenzen (267).

Es geht nicht um radikale oder paradigmatische Unterschiede, die eine Verständigung kaum oder gar nicht zuließen. Sondern um mehr oder weniger gravierende Verschiedenheiten im Zusammenwirken von sprachlichen Formulierungen und sinnlichen Wahrnehmungen – und insofern Denkunterschieden, die sich wiederum in Handlungen zeigen können. Dabei ist wesentlich: Es geht nicht um Denkfähigkeiten, um Intelligenz oder intellektuelle Leistungen, zu denen Sprachen befähigen sollen! Gezeigt werden demgegenüber Wechselwirkungen zwischen Muttersprache/sprachlichen Gewohnheiten und Denken und Gewohnheiten jenseits der Sprache, etwa im Handeln: „Die Begriffe, die wir als unterschiedlich zu behandeln gewohnt sind, die Informationen, zu deren Angabe uns unsere Muttersprache beständig zwingt, die Details, deren Beachtung sie von uns fordert, und die wiederholten Assoziationen, die sie uns aufzwingt- all diese sprachlichen Gewohnheiten können geistige Gewohnheiten hervorbringen, die sich nicht lediglich auf die Kenntnis der Sprache selbst auswirken“. (267)

Gerade jene, deren professionelles Instrumentarium sprachliche Verständigung umfasst, also Berater im weiteren Sinn, Trainer, Lehrende und Therapeuten seien aufgefordert, dieses Buch zu lesen. Am Thema Mäßig-Interessierten erspart dieses Buch die Lektüre linguistischer und sprach-, kulturphilosophischer Kontroversen und sorgt dennoch dafür, dass kursierende Irrtümer über Sprach- und Denkunterschiede korrigiert oder zumindest als Annahme und nicht als empirische Fakten weiter herumgeistern.

Dr. Regina Mahlmann, www.dr-mahlmann.de
 

Dr. Regina Mahlmann