Dem Blitz zu nah
Autor | Ada Palmer |
Verlag | Panini |
ISBN | 978-3-8332-4097-3 |
„Eine Erzählung der Ereignisse aus dem Jahr 2454 (Terra Ignota 1)“ wird in den Untertiteln angekündigt und dann auf sage und schreibe vollen 662 Seiten ausgebreitet. Eine durchaus fordernde Lektüre, dem ausgiebigen Personal geschuldet, das sich der Leserschaft nach und nach erschließt …
Eine neue Weltordnung
… kennzeichnet das 25. Jahrhundert, mit den sieben großen „Hives“ (wie Bienenstock), die auf den Klappen-Innenseiten vorgestellt werden: Darin sind die heute vorhandenen Nationen und Verbünde (wie EU und NATO) längst aufgegangen. „Wir schreiben das Jahr 2454. Die Menschheit befindet sich in einem hart erkämpften goldenen Zeitalter, in dem Religionen und auch Nationalstaaten keinen Platz mehr haben. Sieben Fraktionen – die sogenannten „Hives“ – regieren nun gemeinsam die Welt, deren Herrschaft durch eine wohlwollende Zensur, statistische Analysen und technologischen Reichtum gestützt wird. Aber das Fundament dieser neuen Welt ist brüchig … Verurteilt für seine Verbrechen und gefeiert für seine Talente gilt Mycroft Canner als das bevorzugte Instrument einiger der mächtigsten Menschen der Welt. Als er damit beauftragt wird, einen bizarren Diebstahl zu untersuchen, findet er sich auf der Spur einer Verschwörung wieder, die die Weltordnung der Hives in ihren Grundfesten erschüttern könnte. Band 1 der Reihe Terra Ignota“ – Fortsetzung also folgt, Leser darf gespannt sein! Doch davor möge er/sie sich diesen geschickt verwobenen SciFi gönnen, sich von Kapitel zu Kapitel durchhangeln, teils als eine Art Kommunikations-Protokoll erzählt (oder auch als Echt-Dialog à la Drehbuch, etwa S. 431ff.), auch unterschiedliche Perspektiven darstellend, über weite Strecken in Mycrofts Ich-Version erzählt. Apropos, mit Namen spielt die Autorin ausgiebig, siehe Anklänge an unsereins „zeitgenössische“ Literatur. Gar Bezüge herstellend, siehe Diderot plus dessen Encyclopedie (S. 469f. etc.) – oder eben die Holmes-Brüder (S. 517).
Eine andere Gesellschaftsordnung
…erzwingt auch eine andere Sprache, wie es scheint: Anfangs verwirrend, muss ich Leser erst einmal an andere Pronomina gewöhnen, die zeigen, wohin das derzeit ausufernde Gendern einmal führen mag: Da Geschlechter wabernd unklar sind und Personen mit männlichem Körper weibliche Namen tragen können wie auch umgekehrt, wird neutralisierend kommuniziert (teils erläutert S. 36f.). Körperliche Beziehungen anzusprechen wird vermieden (oder verschwiegen, S. 496f. z.B.), Berufliches indirekt ausgedrückt (S. 94f., S. 123 etc.), Klassen und auch Kasten existieren, teils öffentlich oder auch unterschwellig. Und wer nun mit wem koaliert, welche Hives welche wirtschaftliche und machtpolitische Bedeutung haben, wer im Hintergrund die Fäden zieht: Eine wirklich spannende Story, die vielerlei Geschehen heutiger Zeit durchaus spiegelt. Und dann gibt es einen Jungen mit einer Art Psi-Kraft, der tote Materie lebendig machen zu können scheint, etwa Zinnfiguren (S. 178f. etc.). Ihn gilt es zu schützen, hinter ihm sind „alle“ her. Natürlich gibt es in dieser Zukunft auch Cyborgs (S. 516 etc.). S. 663ff. erläutert die Autorin das eine oder andere in „Notizen und Danksagungen“, u.a. an „die brillante Buchgestalterin Heather Saunders, die meinen Wunsch nach zeitgenössischer Typographie in eine wahre Textkunst verwandelt hat“ – gemeint ist wohl mehr die in fast konkrete Poesie gegossene Morphologie… Voila, lesen! HPR www.dialogprofi.de www.gabal.de