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Selbst ist der Mensch

Autor Antonio Damasio
Verlag sonstige
Seiten 368 Seiten
ISBN 978 3 88680 924 0
Preis 24,99

Zuweilen glaubt man neben dem Wissenschaftler einen – nun ja – esoterisch oder spirituell Suchenden formulieren zu erleben. Das Präzise wird bezeichnender Weise dort vom Vagen abgelöst, wo es um nähere Zuschreibungen der Protagonisten und damit um Belege für die Hauptthese geht. Beispiel: „Wäre es möglich, dass unser sehr menschlicher, bewusster Wunsch zu leben …. als Summe des unbewussten Willens aller Zellen …. in unserem Körper ihren Anfang nahmen, als kollektive Stimme ….“ (48); C.G. Jung und Richard Dawkins lassen grüßen. Oder wenn er von der „Gerichtetheit des Gehirns gegenüber dem Körper“ (102) spricht, das es selbst ja ist und daher nicht ein „Gegenüber-Verhältnis“ haben kann.

Der bewusste Geist wird „unter dem Gesichtspunkt der Evolution von einfachen Lebensformen zu komplexen Organismen wie uns selbst“ (39)betrachtet. Kausale und zeitlich-sequentielle Herleitungen dominieren. Die Eindeutigkeit, mit der der Autor vieljährige moderne und Jahrhunderte währende traditionelle Kontroversen um das Leib-Seele-Problem, die Frage nach dem, was Bewusstsein und Geist auszeichne etc. und die nach dem Sinn (bei Damasio: biologischen Wert) beantwortet, irritiert zuweilen. Eine solch eindeutige Hypostasierung findet sich gleich am Beginn: „Die Antworten sind eindeutig. Es gibt tatsächlich ein Selbst, aber ist kein Gegenstand, sondern ein Prozess, und dieser Prozess läuft immer ab, wenn wir mutmaßlich bei Bewusstsein sind.“ (20) – was immer „mutmaßlich“ hier bedeuten mag. An anderen Stellen formuliert er vorsichtiger und kennzeichnet Überzeugungen als solche bzw. als Vermutung, Hypothese oder Meinung.

Das Buch kann als Funken gelten, die Debatte um Bewusstsein, Selbst(-Bewusstsein) & Co bis hin zum Freien Willen im transdisziplinären Austausch insbesondere von Neurowissenschaftlern und Philosophen fruchtbar wieder zu entzünden. Das dies leistende Moment verdankt sich der Striktheit, mit der der Autor den evolutionären Ansatz und dem Fokus (Telos) auf „Verwaltung und Sicherung des Lebens“ als „grundlegende Voraussetzung für biologischen Wert“ (37), der wiederum u.a. immaterielle Werte definiert, allem überstülpt, was das Gehirn und seine Leistungen betrifft. (Dies übrigens, ohne als Biologist zu erscheinen, der der kulturellen Evolution nicht einen Eigenwert zumesse.) Das ist fruchtbar gerade angesichts der Brisanz des Verhältnisses von Materie und Nicht-Materie und der darum kreisenden Kontroverse (Transformation? Korrelation? Geburt/Hervorgehen? Anlage? Neue Fähigkeit? Verhältnis biologischer und kultureller Evolution mit ihren differenten Tradierungswegen, genetisch hier, Lernen dort?) In der Ausführung seiner Überzeugung wirft Antonio Damasio offenkundig alles in die Waagschale, was er vom Sujet als Fachmann und philosophierender Neurologe weiß – und dieses Wissen übertrifft das des Lesers in der Regel leicht, sodass dieser sehr viel lernen kann und eine Menge Stoff erhält, mit dem er gedanklich umherlaufen und arbeiten kann.

Aus all diesen Gründen und weil der Leser dank der zuweilen persönlichen Äußerungen quasi mit dem Autor Überlegungen anstellen und sie mitverfolgen kann, sei auch diesem Buch eine Vielzahl an (idealerweise mit Vorwissen bepackte) Lesern gewünscht.

Dr. Regina Mahlmann, www.dr-mahlmann.de

Dr. Regina Mahlmann