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Rafi Judenbub

Autor Rafael Seligman
Verlag LangenMüller
ISBN 978-3-7844-3622-7

„Jüdisches Leben im Deutschland der Nachkriegszeit“ wird hier erzählt, mit dem nun dritten Band abschließend als Familiengeschichte der Seligmanns, vom Sohn (bzw. Enkel) nieder geschrieben auf annähernd 400 Seiten, Foto-Dokumente inklusive. Erschienen in einem Verlag, dessen eigene Geschichte viel mit Nazi-Nachfolge zu tun hatte: Umso dankenswerter, dass die Trilogie dort erscheinen konnte.

Antisemitismus im Nachkriegs-Deutschland
…ist gang und gäbe, unterschwellig wie offensichtlich, für viele Deutsche selbst kaum erkannt, seien sie Alt-Nazis oder Mitläufer. Das wird schwierig, für Rafi und seine Eltern: „1957 kehren Ludwig und Hannah Seligmann mit dem 10-jährigen Rafael nach Deutschland zurück. Es fällt ihnen schwer, in der alten Heimat Fuß zu fassen. Rafi und sein Vater leiden zunehmend unter Vorurteilen. Die Familie übersiedelt schließlich nach München, wo sie sich allmählich einlebt. Trotz aller Hindernisse macht der verträumte Schulversager Rafael das Abitur, studiert Geschichte und hat – gegen den erbitterten Widerstand der Mutter – eine Beziehung mit Ingrid, einer „Schickse“. Ebenso einfühlsam wie unsentimental erzählt Rafael Seligmann im dritten Teil seiner Familiensaga von der schwierigen Suche nach der verlorenen Heimat des Vaters. Sein Roman ist zugleich ein Stück Zeitgeschichte aus einem Deutschland, in dem die Verantwortung für die Vergangenheit noch kaum im öffentlichen Bewusstsein verankert war.“ Vielmehr beiseite geschoben wird – und doch blieb vieles „beim Alten“… Darunter leiden alle drei der Seligmann-Familie, in der Schule, im Job, als Hausfrau. Das sind sie auch, die drei Perspektiven, aus denen der Autor das Geschehen beschreibt. Häufig durchaus unterschiedlich erlebt und interpretiert, das macht das Besondere dieses Tatsachen-Romans aus!

Erinnerungen
…werden / bleiben wach – und sind ebenfalls höchst unterschiedlich: Seien es die anderer Juden, die dem Vernichtungslagern entkommen sind (z.B. S.90) oder Deutsche, die sich genauso ungern erinnern – und hoffen, als Nicht-Täter davon zu kommen. Das Umgehen von Juden untereinander ist ein wichtiges Momentum, etwa die Arbeitgeber des Vaters Ludwig mit diesem wie auch zwischen ihnen. Die Rolle der Mutter ist eine entscheidende, was das Durchsetzen von Konditionen oder auch die Lebensumstände der Familie angeht. Wenn sie sich auch nur bedingt durchsetzen kann, was den seiner Gesundheit arg abträgliche Lebenswandel des Ehemanns und Vaters angeht. Der extrem gut ist (oder zumindest sein kann) in dem, was er beruflich ausführt, doch schlecht Grenzen ziehen kann, sei es Arbeitszeit, sei es Ernährung… Der Sohn schafft es, den beiden Blickwinkel seiner Eltern ein Eigenleben zu lassen und so seine eigenen, persönlichen Erinnerungen zu umrahmen: Ein beeindruckendes Werk, sehr nachdenklich machend und den aktuellen Antisemitismus in Deutschland deutlicher werden lassend. Pflicht-Lektüre! HPR www.dialogprofi.de www.gabal.de

Hanspeter Reiter