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Das Schlechte am Guten

Autor Maternus Millett
Verlag sonstige
ISBN 978-3-932927-46-1

Der Autor schreibt aus der Perspektive des „Ausgewanderten“, nach Kolumbien nämlich. Aus dem Erleben eines völlig anderen Umfeldes, einer fundierten Zufriedenheit auf einem anderen Level von Lebensqualität. Und dennoch jenseits von Fundamentalismus aus der Erinnerung einiger Jahrzehnte in Deutschland. Das hat ihn dazu gebracht, political correctness durchaus infrage zu stellen und in eine These zu gießen, die den Untertitel des Buches bildet: „Weshalb die politische Korrektheit scheitern muss“. In seinem Vorwort „Zu viel des „Guten“?“ formuliert er seine Botschaft klar und deutlich: „Die Welt entsteht aus Konflikten und Gegensätzen. Und die politisch korrekte Zwangssolidarität, -nivellierung und –befriedung versucht mit Sozial-Großtechnologie und bewusstseinsindustrieller Manipulation die Natur und die Biologie zu bezwingen. Im Sinne der menschlichen Autonomie und Vielfalt sollte man jedoch das Verschiedene besser verschieden sein lassen und öfter mal sortieren statt integrieren, sodass alle unter den Ihren einen „artgerechten“ Lebensraum finden, wie man es auch Pflanzen und Tieren zugesteht.“ (S. 12) Das hat natürlich auch mit sprachlichen Euphemismen zu tun, die Schlechtes scheinbar zu Gutem machen. Damit geht der Autor durchaus provokativ um, u.a. mit Kapitelüberschriften wie „Wollt Ihr die totale Wiedergutmachung?“ oder „Gaia und die Klimaköche“. Nicht mit allem (oder sogar mit einigem) aus den Inhalten und Schlussfolgerungen bin ich persönlich einverstanden – jedoch: Die Veränderung der Perspektive unterstützt ich durchaus. Einige Zitate mögen sein Denken und Schreiben beleuchten: 

„Die Schlussfolgerung drängt sich auf, dass wir uns immer nur entscheiden können, welchem ideologisch-religiösen Zwang und welcher Herrschaft wir uns unterwerfen. Denn je „freier“ man ist, d.h. je weniger äußere Zwänge einen bestimmen, desto mehr Alternativen hat man, desto mehr Entscheidungen muss man fällen und desto mehr Konsequenzen muss man selbst tragen – was das Leben nicht unbedingt angenehmer macht.“ (S. 51) „Ich möchte in einer Gesellschaft leben, die eine Vielfalt von Lebensentwürfen und – weisen zulässt. Man muss und kann nicht alles ausdiskutieren, vieles wird schlicht unvereinbar bleiben … Die Engländer sagen es: … „We agree to disagree“ („Wir sind uns einig, dass wir uns nicht einig sind“).“ (S. 57) Gefällt mir ausnehmend gut, wie schon vor Jahren von der leider viel zu früh verstorbenen Vera F. Birkenbihl gehört und gelesen … „Ein Mann hat nicht hilfsbereit oder gar Opfer zu sein. Er ist Täter … Längst bildet sich eine überwiegend männliche Unterschicht heraus … Bald wird die akademische Oberschicht überwiegend aus Frauen bestehen.“ (S. 95) „Frauen fällen rund 80 % aller Kaufentscheidungen und sind die stärkeren Medienkonsumenten. Der Markt ist also gezwungen, sich frauenkonform zu verhalten.“ (S. 103)  „Gleichstellung wäre dann erreicht, wenn die Managerin mit dem jüngeren, attraktien Müllmann Beruf und Kindererziehung teilt.“ (S. 127) „Armut bedeutet natürlich immer ein fehlendes oder geringes Geldeinkommen … Doch wie arm ist ein Bergbauer in Pakistan, der sein eigenes Obst und Gemüse anbaut, Tiere hält, eigenes Wasser hat, dessen Großfamilie Kleidung und Gebrauchsgegenstände selber herstellen kann, der weiß, wie man aus Lehm und Holz ein Haus baut? Wie arm ist jemand, der zwar kein Geld hat, aber auch keines braucht, weil er noch in Tradition und Familie verwurzelt ist?“ (S. 145)  

Viele provokative (An-)Sätze, die – je nach Diskussions-Level – durchaus an Grenzen stoßen und diese aus Sicht manches Mit-Denkenden auch durchaus mal überschreiten: Was bedeutet Tradition für die Frau des Bergbauern? Wie ist das mit dem Recht auf Bildung und persönlichem Wachstum? Dazu der Autor (von mir aus dem Zusammenhang gerissen, wie oben auch, und in einen neuen gestellt): „Erfolge wie das Magazin „Landlust“, Vintage-Retro-Reenactment-Events … beweisen es: Der Abgesang auf die Moderne schwillt zu einer Symphonie an.“ (S. 169) „Ich habe schnell gelernt, wie das Geld- und Sozialsystem funktioniert und warum Arbeit sich nicht lohnt.“ (S. 194) „In Kolumbien sind die Straßen nicht mit Autos vollgestellt (die sind hier immer in Bewegung), sondern noch von Menschen bevölkert … Hier darf man zeigen, wenn man traurig ist oder leidet, und die Leute schicken einen nicht zum Psychiater oder lassen einen im Stich wie in Deutschland.“ (S. 209) Zack! Fühlen Sie sich provoziert? Dann lesen Sie mal los J … HPR

Hanspeter Reiter