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Eine Frau bei 1000 Grad

Autor Hellgrimur Helgason
Verlag sonstige
ISBN 978-3-608-50112-4

Die Gradzahl hat tatsächlich weder mit den Geysiren auf Island zu tun (die weit weniger heiß werden) oder mit den schon mal gelegentlich ausbrechenden Vulkanen dort, die dann tagelang den europäischen Luftverkehr zumindest teilweise lahm legen (die deutlich heißer werden). Vielmehr geht es, wie sich bald heraus stellt, um die Temperatur, der der menschliche Körper bei der Feuerbestattung ausgesetzt wird: Die 80jährige Herbjörg fühlt sich dem nahe. Und erlebt für sich – abgestellt in einer umgebauten Garage – die Geschichte des 20. Jahrhunderts nochmals nach, aus ihrer sehr persönlichen Sicht, einer „auto“biografischen sozusagen … Die Rahmengeschichte bietet dem externen Leser zugleich Einblick in die moderne Gesellschaft Islands, jenseits Vulkan-Ausbruch und Finanz-Zusammenbruch. Die Protagonistin – übrigens Enkelin des ersten isländischen Staatspräsidenten – ist selbst eine Art Vulkan, sei es durch ihr Kettenrauchen (heimlich, neben dem Sauerstoffgerät …) oder durch ihre impulsive, extravertierte Art, eher un-isländisch offenbar, die sie sich bis ins Alter erhalten hat. Durch diverse Ehen (neun Männer) und europäische wie nicht-europäische Länder, in denen sie gereist ist wie auch gelebt hat. Leser wird dabei immer wieder zwischen Erinnerungen (nach 1929, ihrem Geburtsjahr) und Gegenwarts-Erleben mitgenommen; das bringt Abwechslung und zugleich (offenbar vom Autor durchaus gewollte, weil auch die Hauptperson kennzeichnende) Verwirrung. Und auch den Finanz-Zusammenbruch hat sie mit erlitten, weil ihre (drei) Söhne ihr verbliebenes Kapital letztlich falsch eingesetzt hatten … Fast ein Jahrhundert miterleben, naturgemäß schlaglicht-artig, aus der Perspektive einer weltmännischen Frau aus kleinem Lande: Wow! „Ebenso anrührend wie skurril“ trifft das durchaus, gekennzeichnet auch durch jene Handgranate, die sie durch Jahrzehnte mit sich getragen hat. – Im Nachklang zur Buchmesse Frankfurt 2011 mit Gastland Island erhalten deutsche Literatur-Interessierte mehr und mehr Chancen, die intensive Leselandschaft dieses Eilands kennen zu lernen, mit einer ungeahnten Bücherdichte. So wie mich seinerzeit bei der Expo 2000 in Hannover der isländische Pavillon mit seinem fantastischen Wasserspiel am stärksten beeindruckt hat (zusammen mit einem eher ver-rückten finnischen, der stark auf Technologisches abzielte), so faszinierend kommt mir dieser erste Einblick in moderne isländische Literatur vor … Gönnen Sie sich diese 400 Seiten! – HPR

Hanspeter Reiter