Inkognito
Autor | Eagleman, David |
Verlag | Campus |
ISBN | 978 3 593 38974 5 |
David Eagleman, Schüler von Francis Crick und Neurowissenschaftler am Bylor College of Medicine in Houston hat sich jenen Autoren angeschlossen, zu deren Hauptbotschaften dieses gehört: Das meiste von dem, was im Gehirn passiert, ist unbewusst. Dieses Diktum wird seit gut zwei Jahrzehnten vertreten und dank verfeinerter Techniken mit immer mehr Details unterfüttert.
Ganz im Einklang mit Sigmund Freud (Neurologe!) und anderen vor allem argumentierenden Neurofachleuten schildert und erläutert der Autor in flotter Sprache, unzähligen Beispielen, inflationärem „Mal angenommen“ oder „Stellen Sie sich vor“, dass das Ich nicht Herr im eigenen Hause ist, dass das „Ich“ wenig zu sagen hat, mehr oder weniger dazu fungiert, bereits Vollzogenes (Gedanken, Verhalten, Handeln) zu rechtfertigen.
Wenn Menschen allerdings vor allem nicht bewusst agieren – wieso sollten dann neurowissenschaftliche Erkenntnisse dazu befähigen, eine „bessere Gesellschaftspolitik“ zu machen, philosophische Fragen zu „klären“ (230)? Gibt es unter Menschen jene, die vorzugsweise bewegt werden und jene, die bewegen? Jene, deren Lebensführung, Denken etc. entschieden ist und jene, die darüber selbst entscheiden? – Selbstredend argumentiert der Autor nicht derartig scherenschnittartig. Indes: Die Debatte könnte anhand seiner Argumentationen neuen Wind bekommen.
Wer von Gehirn und unbewussten Prozessen spricht, kommt an der Frage nach den Zusammenhängen von Geist und Gehirn, von Seele, Bewusstsein und neuronalen Prozessen nicht vorbei. Konzentrierte Ausführungen zu biologischem, physikalischem Reduktionismus, zu Materialismus und Idealismus findet der Leser in Kapitel 7. Zwar erscheint das Gehirn als Steuerzentrale, aber eben nicht nur in Form des bewussten Geistes, sondern nicht bewusster Antriebe, Impulse, neuronaler Feuerwerke unterhalb der bewussten Wahrnehmung. Das ist eine hochphilosophische Debatte, die keinesfalls entschieden ist. Ob Reduktionismus oder nicht, ob Korrelation, Parallelität, Interdependenz – neuronale Bestandteile, so der Autor, erklären Erfahrungen von Menschen nicht hinreichend. Erscheinen allerdings als ursächlich, fundamental, Bedingung der Möglichkeit. – Was kontrovers diskutiert wird unter interdisziplinär arbeitenden Neurowissenschaftlern und Philosophen.
David Eagleman scheint ganz offenkundig von seiner Arbeit begeistert. Diese Begeisterung zieht an, und der Leser folgt dem Autor bereitwillig auf seinem Streifzug durch Biologie und Evolution, Neurobiologie und Neuropsychologie sowie durch die Galerie von Belegen und Beweisführungen für die Hauptthese vom Unbe- oder Ungewussten. Das klingt, als handle es sich um ein Wissenschaftsbuch. Eher allerdings liegt die Zuordnung zu einem wissenschaftsnahen Sachbuch nahe. Der Autor erläutert übrigens innerhalb der Klammer bewusst-unbewusst auch psychologische Sachverhalte wie etwa Erwartungsbildung, Illusionen oder Beurteilungsprozesse (wahr/unwahr).
Wer sich Wissen gern über Narration, Anekdote, Beispiel, Imagination, Humor aneignet, der ist bei diesem Autor gut aufgehoben. Wissenschafts- und philosophiehistorische Erläuterungen betten naturwissenschaftliche Ergebnisse und Erkenntnisse zum Thema Gehirn, seine Funktionsweise und Plastizität ebenso ein, wie sie als Referenz dafür dienen, einzuschätzen, welche Entdeckungen in Neurowissenschaften neu bzw. in intellektuellen Überlegungen von Philosophen, Naturwissenschaftlern (Biologen, Physiker, Neurologen) früherer Jahrhunderte zumindest im Kern oder im Keim zu finden sind.
Das Buch ist unterhaltsam und informativ – und bietet dem kundigen Leser die eine oder andere intellektuell fruchtbare Provokation.