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Macht im 21. Jahrhundert

Autor Joseph Nye
Verlag Siedler
ISBN 978 3 88680 983 7

Der Harvard-Professor und ehemalige stellvertretende Verteidigungsminister in der Clinton-Regierung hat ein höchst lesenswertes Sachbuch zum Bereich politischer Macht geschrieben. Zum einen imponiert der historisch rekonstruierende und auch psychologische Erkenntnisse einspeisende Materialreichtum, mit dem er seine Beobachtungen, Thesen, Schlussfolgerungen und Plädoyers belegt. Zum anderen bietet er einen politischen Machtbegriff an, der verbreitete Definitionen und schlussendlich Handlungsstrategien erweitert.

 

Macht skizziert er als Verfügung über Ressourcen sowie als Resultat politischen Handelns. Macht ist ein relationaler Begriff, da Macht als Beeinflussung von anderen in Bezug auf ein Ziel und mit erfolgversprechenden Mitteln zur Erreichung des gewünschten Ziels beschreibt.(S. 35).

 

Joseph Nye differenziert intelligente oder smarte Macht, sanfte oder weiche und harte Macht. Er verbleibt nicht bei Definitionen, sondern beleuchtet Interdependenzen, beabsichtigte und nicht beabsichtigte Verstärkungskreisläufe und entwickelt – mit dem Blick auf jeweilige Zielsetzungen – je angemessene, hilfreiche Strategien der Macht.

 

Sein Favorit gilt der smart power: Sie ist die als „Fähigkeit, Ressourcen harter und weicher Macht zu effektiven Strategien zu verbinden. Anders als „soft power“ ist „smart power“ nicht nur deskriptiver, sondern auch wertender Begriff. Weiche Macht kann, vom normativen Standpunkt aus betrachtet, gut oder schlecht sein, je nachdem, wozu sie benutzt wird. Bei „smart power“ hingegen ist das normative Urteil bereits in die Definition eingebaut.“ (S. 52) Smart power setzt auf Machkonversion, darauf, dass Machtressourcen in Strategien umgewandelt werden. Dazu benötigen die Strategen Kontextwissen bzw. „Kontext-Intelligenz, die zur korrekten Einschätzung von Trends im Machtgeschehen und zum vorausblickenden Nachdenken über intelligente politische Reaktionen befähigt.“ (306).

 

Der Autor speist auch die digitalen Medien und deren Nutzung ein. In diesem Zusammenhang spricht er von Machtverlagerung und Machtdiffusion (S. 176ff): Die „Informationsrevolution“ verändere „Macht in ihrem Wesen“: Dank enormer Beschleunigung des Tempos der Informationsübertragung in der Kommunikation kommt es zu Informationsexplosion und –verbreitung. Information mutiert auf diese Weise zu einer Machtressource neuartigen Grades, zumal und eine bis dato nicht gekannte Vielzahl an Gruppen in Gesellschaften Zugang zu und Teil an Machtausübung haben.  Zutrittskosten sinken ebenso wie Zugangsschranken: „Verhaltenstheoretisch definiert, ist Cybermacht die Fähigkeit, durch Nutzung der elektronisch vernetzten Informationsressourcen der Cybersphäre erwünschte Ergebnisse zu erzielen“ und „kann eingesetzt werden, um erwünschte Ergebnisse innerhalb des Cyberspace zu erzielen, kann aber auch Cybertools nutzen, um in anderen Sphären außerhalb des Cyberspace erwünschte Resultate herbeizuführen.“ (S. 189) Joseph Nye sieht dabei drei Hauptakteure: staatliche Institutionen, NGOs und hoch strukturierte Netzwerke, Individuen und lose strukturierte Netzwerke.

 

Macht und Machtstrategien müssen neu gedacht und konzipiert werden. Die Anforderungen an Strategen wie an Politiker wachsen, insbesondere, weil Kontextwissen, das Wissen um Kultur und deren Implikationen bis auf die Alltagsebene, also dort, wo Menschen ansprechbar sind, einen erhöhten, wenn nicht gar zentralen Status gewinnen. Smart Power vereinigt bisher bekanntes, fügt neuere Facetten im Machtverständnis hinzu und fördert gleichsam interkulturelle Verständigung. Das kann man nun bewerten, als hinterhältig imperialistisch oder als Vorgehen, das dem Miteinanderleben auch unter dem Aspekt von Dominanz dient. Doch darauf sollte es bei der Lektüre nicht zuvördert ankommen. Der Leser gewinnt am meisten, wenn er sich zunächst dem Verstehen, dem intellektuellen Nachvollziehen widmet, um dann – wenn er denn möchte – eine moralische Schlussfolgerung zu ziehen.

Hanspeter Reiter / Regina Mahlmann