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Eine Möglichkeit von Glück

Autor Anne Rabe
Verlag Klett-Cotta
ISBN 978-3-608-98463-7

Ziemlich autobiografisch kommt dieser lokale und historische Roman daher – letztlich also autofiktional, mit knapp 400 Seiten, durch vielerlei Erzählungen des Umfelds ergänzt und vertieft, wie die Autorin im Dank S. 377f. verdeutlicht.

DDR – was war da noch?
Auf der Suche nach ihrer Identität, aus dem Leben und Wirken der Vorfahren heraus, als wenige Jahre vor der Wende geborenes Kind? Wieder kehrend geht es 1. um den Opa Paul und sein Verhaltung zu Nazi- wie Stasi-Zeiten (siehe S. 202f. usw.) und 2. um die Eltern und deren absolute Ideologie-Gläubigkeit, auch als Role-Model für die DDR-Art von Kinder-Erziehung: Gewalt, Ausgrenzung, Abschieden… Das ist die Story kurz gefasst: „In der DDR geboren, im wiedervereinigten Deutschland aufgewachsen. Als die Mauer fällt, ist Stine gerade einmal drei Jahre alt. Doch die Familie ist tief verstrickt. In ein System, von dem sie nicht lassen kann, und in den Glauben, das richtige Leben gelebt zu haben. Bestechend klar und kühn erzählt Anne Rabe von einer Generation, deren Herkunft eine Leerstelle ist.“ Mit 1:1 übereinstimmenden Lebensdaten: „Stine kommt Mitte der 80er Jahre in einer Kleinstadt an der ostdeutschen Ostsee zur Welt. Sie ist ein Kind der Wende. Um den Systemwechsel in der DDR zu begreifen, ist sie zu jung, doch die vielschichtigen ideologischen Prägungen ihrer Familie schreiben sich in die heranwachsende Generation fort. Während ihre Verwandten die untergegangene Welt hinter einem undurchdringlichen Schweigen verstecken, brechen bei Stine Fragen auf, die sich nicht länger verdrängen lassen.“ Und von der eigenen Mutter quasi verfolgt wird, ihrer endlich gewonnen Distanz wegen…

Von der Diktatur zur Demokratie
… ist ein durchaus steiniger Weg zu gehen, wie sich inzwischen mehr und mehr zeigt. Nun, „Anne Rabe hat ein ebenso hellsichtiges wie aufwühlendes Buch von literarischer Wucht geschrieben. Sie geht den Verwundungen einer Generation nach, die zwischen Diktatur und Demokratie aufgewachsen ist, und fragt nach den Ursprüngen von Rassismus und Gewalt.“ Dafür greift sie auf vielerlei Quellen zurück, von denen sie auch im Roman erzählt (s. 84 etwa Bücher über…). Differenziert ist textlich in kursiv, wenn sie Gedanken außerhalb des eigentlichen Erzählflusses notiert. Waren Nazis die besseren DDRler (s. 124f. etc.)? Gelernt habe ich, zusätzlich zu den Berichten und Diskussionen „meiner“ Brockhaus-Außendienstler in den „Neuen Bundesländern“ in den 1990er Jahren, die teils mit akademischem Hintergrund erfreut die Chance nutzten, eine solch angesehen Marke im Privatkunden-Geschäft vertreten zu dürfen, die zudem ja aus Leipzig stammte. Und dennoch durchaus ihre Befindlichkeiten hatten, aus jenen Zeiten weiterführend. Eine interessante Gegen-Position zu aktueller „Widerstands-Literatur“ à la „Der Osten – eine Erfindung des Westens“, von mir hier auch rezensiert. Dass fürs Verstehen mancher Handlung ein noch weiterer Rückblick sinnvoll sein kann, zeigt Anne Rabes Buch – bis hin zu Stalingrad gar (S. 314ff.)… Macht nachdenklich, lesenswert! HPR www.dialogprofi.de www.gabal.de

Hanspeter Reiter