Ende der Hypnose
Autor | Reuß, Roland |
Verlag | Stroemfeld 2012, 2. Aufl. |
ISBN | 9 783866 001411 |
Der schmale Band gehört zu jenen Preziosen, die sich dem euphorischen Sturm des homo digitalis und der unkritischen, sprich: unreflektierten Anpassung an das Digitalisierte entgegenstemmen. Von solchen Essays gibt es zu wenige; die meisten dieser Wenigen sind in kleinen Verlagen publiziert. Dass der Band in der zweiten Auflage erscheint, ermutigt reflektierende Geister – unabhängig davon, wie hoch eine Auflage jeweils ist.
Der Begriff „Hypnose“ signalisiert, worum es Roland Reuß geht: um die wenig bis nicht bewusste Selbst-Auslieferung an das Digitale: im Denken, im Wahrnehmen, in Identität und auch im Geschäftsgebaren. Gleichzeitig schwingt die Aufgabe dessen mit, was noch immer mit Individualität, wieder: im Denken, im Wahrnehmen, in der Personwerdung, assoziiert wird.
Der Literatur- und Editionswissenschaft lehrende Autor teilt sein Büchlein in 4 Kapitel ein, die – unüblich – keinen Namen haben, sondern eingeleitet werden von einem Zitat, einem Kerngedanken oder einer kurzen Formulierung. Sie gibt die Thematik der Gedankenskizzen vor. Und diese sind allemal des Lesens wert. Sprachlich anspruchs-, weil gedankenvoll und elegant, zuweilen Klassiker aus Philosophie und Literatur zitierend, streift Roland Reuß zentrale Bereiche des Lebens, in denen die Internalisierung digitaler Logik(en) greift und den Menschen gleichsam dem technokratischen Diktat unterwirft. Der Untertitel „Vom Netz zum Buch“ exemplifiziert die Logik, und als ebenso exemplarisch kann man das Plädoyer lesen: Lesen von Büchern aus Papier, Lesen im dreidimensionalen Buch ist nicht nur nicht ersetzbar durch ebooks [&] Co (schon wahrnehmungsphysiologisch unterscheiden sich diese Textträger im Leseakt, ebenso in Bezug auf bildende Prägungen und Gedächtnisleistungen), sondern nur das Lesen des dreidimensionalen Buches ermöglicht das Gegenteil von elektronischer Lektüre: die Erfahrung und Bildung von Individualität: im Denken, Phantasieren, im Fühlen und der Personwerdung, auch mit Blick auf die Bedingung der Möglichkeit, sich dem Trend entgegenzusetzen – vielleicht nicht immer und überall, aber doch dort, wo der alerte Verstand wahrscheinliche und faktische Wirkungen der Digitalisierung erkennt.
Diesem Büchlein wünsche ich zahlreiche Neuauflagen!