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Das Fenster zum Sommer

Autor Hannelore Valencak
Verlag Input
ISBN 978-3-941-90544-3

Wahrlich: eine „Perle“ der Literatur, Band 11 der Reiche „Perlen der Literatur“.
Wie Ralf Plenz im Vorwort bemerkt, erinnert der schmale Roman, der ursprünglich: Zuflucht hinter der Zeit“ (1967) hieß und nun „“Das Fenster zum Sommer“ genannt wird, an den Roman „Die Wand“ von Marlen Haushofer.

Die Autorin, Hannelore Valencak, Physikerin, hat einen Roman geschrieben, der in sprachlich-tonaler, stilistischer und metaphorischer sowie auch in inhaltlicher Hinsicht besonders ist.

Die Sprache entrückt vom Alltag und zieht sanft hinein in das Geschehen. Sie ist einfach in Syntax und gleichzeitig poetisch, zuweilen fast lyrisch. Sie malt Töne, Gerüche und Bilder in Worten, die ungewöhnlich sind, fremd anmuten und dennoch jene Töne, Gerüche und Bilder den aufmerksam und langsam, genussvoll lesenden Leser hören, riechen und sehen lassen, die ihre Botschaft und Eindrücke im Leser hervorrufen, von fast szenischer Qualität und Konkretheit, die gewünscht scheinen. Stimmung und Gedanken, Handlungen und Dialoge, Schilderungen von Landschaften und Jahreszeiten, von, in der Bahn sitzend, vorüberziehenden Gebäuden, Pflanzen und Flüssen werden in einer der jeweiligen Gestimmtheit der Erzählerin entsprechenden bzw. entgegengesetzten Ausführlichkeit beschrieben, die den Leser unmittelbar berühren.

Die Grundtonalität erscheint ruhig, dahinplätschernd, dann wieder euphorisiert und in Sentenzen, die sowohl psychologische als auch philosophische Qualität haben.

Der Inhalt: Ursula erzählt, und alles Geschehen wird aus dieser Ich-Perspektive geschildert. Ursula legt sich an einem Abend im April neben ihren Mann und schläft ein – und wacht auf in dem Haus ihrer Tante, bei der sie – da die Mutter in Kanada weilt – aufwächst und in jeder Hinsicht in einer Weise sozialisiert wird, die auf wenig Genuss und viel Pflicht und Handeln aus Schuldgefühl verweist. So jedenfalls Ursulas Empfinden und Denken. Sie wacht zudem auf in einer Vergangenheit: vor ihrer Heirat mit Joachim, mit dem sie ihr Leben als lebenswert fühlt und führt. Sie wacht auf in der Tristesse sowohl im Leben mit ihrer Tante als auch im Büro, in dem sie arbeitet. Und sie strebt fast kompromisslos an, Joachim wiederzugewinnen und die Vergangenheit zur Gegenwart zu machen.

In diesem verzweifelten Bemühen steckt sie in einem Dilemma: außer ihr weiß niemand von Joachim, ihrem Geburtshelfer ins Leben, und auch Joachim weiß nichts von ihr. Folglich versucht sie zunächst, die Begegnung mit ihm geradezu zu erzwingen. Irgendwann kommt die Einsicht, dass, wenn sie sich um die Zukunft wissend in der aktuellen Gegenwart mit diesem Wissen verhält, sie in die Zukunft einzugreifen versucht – und das sei „nicht logisch“. Folglich macht sie eine harte Wende und ist bemüht, so zu empfinden, sich so zu verhalten, so zu leben, wie sie es tat „vor Joachim“. Einzig, um ihn so zu treffen, dass sie wieder zueinander finden, das Häuschen kaufen und über alle Maßen glücklich zusammenleben. Wird ihr dies gelingen?

Der Leser wird schwanken zwischen Mitleid, Sympathie und Antipathie, fast Abscheu vor Ursula. Denn in ihrer strikten Zielstrebigkeit denkt sie Gedanken, spricht und verhält sich anderen gegenüber in einer (vor Joachim nie ausgeführten) Egozentriertheit, die mitleidlos, verletzend, fast destruktiv wirkt. In diesen Schilderungen findet der Leser gleichzeitig simpel anmutende, doch keineswegs abstruse Begründungen, sondern solche, die gründlich reflektiert, bisweilen aphoristische Qualität haben.

Gut möglich, dass Tonalität, Grauheit, Melancholie ebenso wie die affektiven und emotionalen, die reflektierenden Passagen den Leser dazu bewegen, das Büchlein fortzulegen – doch nicht für längere Zeit. Denn ab einem bestimmten Ereignis wird die Erzählung derartig spannend, dass man es doch immer wieder aufnimmt und unbedingt wissen möchte, wie der Spannungsbogen verläuft und welches Ende Ursula schlussendlich nimmt und annimmt.

Diesen Roman liest man am besten nach einer Zeit noch einmal. Zu schön ist die Sprache, sind die Wortmalereien und Sprachbilder, die sprachlich verfassten Sinneseindrücke. Auf inhaltlicher Ebene werden insbesondere psychologisch mehr oder weniger Geschulte ein reichhaltiges Reservoir an Deutungsmöglichkeiten finden. Eindeutigkeit indes nicht.

„Das Fenster zum Sommer“ trifft insofern, als Ursula Lebenswert und Glück mit und in Joachim in einem (kurzen) Sommer erlebt und dieses „Fenster“ in der Zeit ihren Ausblick und ihre Lebensführung auch in der neu gelebten Vergangenheit bestimmt. Der ursprüngliche „Zuflucht hinter der Zeit“ erfasst exakt Bewusstsein, Gefühlswelt und Handlungen von Ursula, nachdem sie nicht neben Joachim, sondern im Haus ihrer Tante aufgewacht ist.

Ein Genuss, diese „Perle“, die eingeschlossen ist in Vergangenheit und Gegenwart.

Regina Mahlmann