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Das Shadow Work Journal: Erkenne deine Schatten und heile dich selbst

Autor Keila Shaheen
Verlag dtv
ISBN 978-3-423-28413-4

Das Arbeitsbuch zur Selbstfindung und Selbstheilung stößt offenbar auf große Resonanz. Das dürfte an der Kombination von kurzen, in einfachen und den Leser direkt ansprechenden Erläuterungen und Aufgaben liegen, die im Buch ausfüllbar sind. Die Autorin stützt sich maßgeblich und affirmativ auf den Ahnen Carl Gustav Jung, und hier insbesondere auf das Konzept des „Schattens“. Der Schatten bzw. seine Inhalte sollen, da die „dunkle Seite“ der Persönlichkeit repräsentierend, erhellt bzw. reduziert, die als schädlich angenommene Wirkung auf das je gegenwärtige Fühlen, Denken und Verhalten verringert bzw. ausgeschaltet werden. Das Weiße, sprich Bewusste, zu Bejahende, Hilfreiche, Weiterführende einer- und andererseits das Dunkle, Un- bzw. Nichtbewusste, Behindernde sind im Buch durch ein weißes und schwarzes Lesebändchens symbolisiert oder repräsentiert.

Das Arbeitsbuch erweist sich als ein weiterer Ratgeber zu persönlichem Glück und Selbstheilung im Zeichen der individuellen, subjektiven Quasi-Autarkie (und Selbstoptimierung). Wie alle Ansätze, die dem Einzelnen Werkzeug (Ressourcenannahme, Erläuterungen, Übungen, Reflexionsaufgaben) an die Hand geben, um sich selbst umfassend kennenzulernen und sowohl Ursachen als auch Wirkungen als auch Lösungen in sich selbst, in der persönlichen Biographie suchen und finden sollen, ist der Blick verengt, indem er Externales, Wechselwirkungen, multikausale Bewirkungsdynamiken ausschließt. Der Ansatz geht hinter vorhandene Erkenntnisse und Empirie zurück. Er ist nicht nur ein unsystemisches Modell, sondern auch ein empirisch falsifiziertes und wirkt – inzwischen häufig bestätigt – auf den Einzelnen, der versucht und scheitert, vor allem als Bürde, Last und Quelle plagender Selbstzweifel, die wiederum psychisches Leiden hervorbringen können. Das Subjekt erscheint als sich selbst potenziell heilen könnendes Wesen und zugleich als Opfer ebendieser Hybris sowie – zirkulär – als Problemlöser, an dem selbst es liegt, wenn er reüssiert oder scheitert.

In diesem Kontext spricht die Autorin zudem von der Stärkung der persönlichen Resilienz – während ein noch so kursorischer Blick in die Resilienzforschung und Empirie der Resilienz-Entwicklung zeigt, dass ein deutlich breiterer Horizont von Wirkfaktoren zu betrachten und praktisch einzubeziehen ist. Bedauerlicherweise wirkt das kritiklose Übernehmen von Annahmen über das Un- bzw. Nichtbewusste (ein Blick in neuropsychologische Forschung ist auch in diesem Zusammenhang lehrreich konträr) unter anderem unlogisch. Das Unbewusste soll das Verdrängte sein, das Dunkle, das jene Erfahrungen und Persönlichkeitsfacetten unterdrückt, die man nicht mag, nicht erträgt und weghaben will. Selbst wenn dem so ist, stellt sich die Frage, inwieweit es eine praktisch realisierbare Annahme ist, dass psychotherapeutisch und psychologisch nicht bis wenig gebildete Menschen, vor allem Betroffene, die zu diesem Werkbuch greifen, allein und nur per Selbstreflexion jene Hürden überwinden können sollen, die als verantwortlich dafür supponiert werden, dass die Kammer des Verdrängten gefüllt ist. Es ist äußerst selten, dass ein Leidender Münchhausen spielen und sich am eigenen Zopf aus dem Sumpf ziehen kann.

Da Werkbuch-Nutzer ganz entscheidend auf ihre Erinnerungen, ihr Gedächtnis setzen müssen, sind zudem einzubeziehen neurowissenschaftliche Erkenntnisse, die Aufbau, Funktionsweise und Verlässlichkeit von Gedächtnis/ Erinnerungen beschreiben. Sie können zeigen, dass Erinnertes immer Konstruktion ist, deren konkrete Ausformung sich nach den Bedürfnissen des Erinnernden richtet. Das konstruierende bis erfindende Moment kann bewusst sein („ich glaube, das war so….bin mir aber nicht ganz sicher“) oder nicht bewusst sein oder bewusst sein, also absichtlich fiktionalisiert. Forschung und Empirie erweisen, dass Erinnerungen sogar künstlich implantiert werden können: false memory effect, (der auch in psychotherapeutischen Interventionen/ Settings bereits nachgewiesen ist.). Erinnerungen sind unzuverlässig. Dadurch, dass die Autorin dem Gedächtnis und dem Erinnern einen kardinalen Stellenwert zumisst, kann auch dies dem Anwender (mit Ausstrahlung auf sein Umfeld) schaden.

Es wären zahlreiche weitere Fragezeichen anzusprechen. Der Grund, zumindest einige zu nennen, liegt darin, dass man auf diese Weise gravierende Enttäuschungserfahrungen im Vorfeld vermindern helfen kann. Wenn der Leser weiß, dass dem Buch Annahmen zugrunde liegen, die man aus guten, belastbaren Gründen auch anders treffen und beurteilen kann, ist er in der Lage, den ideellen, theoretischen Referenzrahmen, Text und Übungen mit einer kritischen Distanz und einer Haltung des Ich -versuch-einfach-mal zu handhaben. „Versuch macht kluch“ heißt es so nett im Volksmund, und in diesem Sinn ist jeder Versuch ein Beitrag dazu, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Die Autorin proklamiert insbesondere in den Übungen/ Aufgaben weitere gängige semantische Voreinstellungen, Annahmen und Aufgabenstellungen, die – im Dienst von Selbsterkenntnis und Selbsthilfe und entsprechend der individualistischen, personalisierten Tönung – aus Psychotherapie und Individualcoachings vertraut, also verbreitet sind. Der Blick in sich hinein, wie es im und zum Buch heißt, kann trotz alldem erhellend sein. Gelingt es dem Anwender, den von Keila Shaheen angebotenen Weg mit der Haltung des Versuchs, dem Bewusstsein, dass dieses Angebot eines unter anderen ist und insofern vorzugsweise mit kritischer Distanz am ehesten Nutzen stiften kann, dann ist eine Intention der Autorin erreicht: dass das Befassen mit der eigenen Persönlichkeit Optionen ans Licht befördern kann, von denen der Betroffene vorher gleichsam nichts geahnt hat.

Regina Mahlmann