Der Mann, der vom Himmel fiel
Autor | Walter Tevis |
Verlag | Diogenes |
ISBN | 978-3-257-24713-8 |
Nach der amerikanischen Erstausgabe im Jahr 1963 unter dem Titel: „The Man Who Fell to Earth“ erscheint der 1976 mit David Bowie verfilmte und neuerdings als Serie bei Netflix zu sehende Roman von Walter Tevis (1928 – 1984) in neuer Übersetzung von pociao und Roberto de Hollanda. Es ist ein Klassiker.
Als Motiv für die erneute Aktualität des Romans kommen Bedeutung und Macht infrage, die der gegenwärtigen Technologie rund um Künstliche Intelligenz zugeschrieben werden, sowohl Hoffnungen bezüglich deren die Menschheit rettenden Möglichkeiten als auch bezüglich der lauernden und diese vernichtenden bzw. dominierenden Gefahren. Letzteres insbesondere eingedenk des Umstandes, dass generative KI – Chat GPT als Exempel – von Menschen weder durchschaubar noch beherrschbar ist, und zudem eine unüberbrückbare Kluft zwischen menschlicher und künstlicher Intelligenz aufzeigt.
Der Roman bedient beide Pole, Hoffnung auf Rettung und Befürchtung von Untergang – wenn auch aus verschiedenen Perspektiven, Gründen und Zielen, jeweils aus Sicht des Erdenbürgers Nathan Bryce und des Antheaners Thomas Jerome Newton. (Newton – der Name als Hinweis.) So lässt die Erzählung den innerlich beteiligten Leser denn auch sowohl hoffnungsfroh (die romantische Seele berührend) als auch traurig (bei eher nüchterner Betrachtung von Wahrscheinlichkeiten bzw. realistischer/ pessimistischer Seele) zurück, und beide Gefühle beziehen sich beides, auf Planetenschicksale und auf Personen, insbesondere auf die Hauptfigur, die vermutlich bei jedem Leser größte Zuversicht auf „Gutes“ erzeugt und Sympathie genießt.
Man kann den Roman als Tragödie lesen, mit Sonnenaufgang zu Beginn und Sonnenuntergang zum Schluss. Man kann den Roman so lesen, dass er als Utopie beginnt, allmählich in eine Dystopie, zumindest in dystopische Neigung umschlägt, versehen mit einem fantastischen Aufhänger, namentlich dem Mann, der auf die Erde fiel. Es ist kein Science Fiction Roman. Den Roman als Allegorie zu deuten, liegt ebenfalls nahe. Etwa mit Bezug auf den gegenwärtigen Hang der Tech-Industrie Solutionism (Evgeny Morozow), die mit Erlösungs-, Rettungsversprechen aufwartet, selbst jenseits der Erde.
Der Ikarus-Mythos taucht im Roman auf und scheint Geburt, Flug und Tod nachzubilden. Doch während Ikarus, Sohn des Dedalus, vor allem Übermut zugeschrieben wird, in dessen Folge er im Meer ertrinkt, trifft diese Motivation auf den Antheaner nicht zu. Zwar versagt er in seiner Mission. Und ihm kann vorgehalten werden, zu sehr sich auf spezifisch menschliche Eigenheiten eingelassen zu haben. Die ausschlaggebenden Gründe liegen indes bei den Menschen, insbesondere in politischen und rivalisierenden Machtinteressen und Ränkespielen. Thomas Jerome Newton wird zum Spielball und endet als Opfer von (Kollateral-) Schäden. Einsame Intelligenz ist fehlbar bezüglich der eigenen Mission und prophetisch bezüglich des Schicksals von Menschen angesichts der Wirkungen von Machtkämpfen und Verzicht auf vernünftige Kooperation.
Der Sprachduktus von Walter Tevis ist rhythmisch wohlklingend und trotz Spannungskurven ruhig, moderat im Tempo, seicht-wellig. Weder poetisiert er, noch psychologisiert der Autor. Mit Auslassungen, die heutzutage episch und ermüdend mit großräumiger Ausleuchtung seelischer Zustände und konkreter Erlebnisse befüllt würden, bleibt Tevis konzentriert auf Hauptereignisse und Grundaussagen. Er erzählt, stellt dar, schildert Dialoge, Gedanken und innere Monologe prägnant, zeichnet die Charaktere zugleich in wenigen Strichen und ausdrucksstark, und, ohne dass dies dem Leser bewusst wird, oszilliert alles um den Kern, steuert, zuweilen in Nebensätzen und scheinbar unscheinbar, auf den Schlusspunkt zu. Dieser lässt einen bedrückten Leser zurück – mit einem Schimmer Hoffnung für den Antheaner und, angesichts der aktuellen Situation auf dem Planeten Erde, nachdenklich die Lernbereitschaft von Menschen infrage stellend.