Lehren von Luhmann
Autor | Muster, Judith, Hermwille, Andreas, Kapitzky, Jens |
Verlag | managerSeminare |
ISBN | 978-3-949-61126-1 |
Leser, die die Schriften des 1998 verstorbenen Soziologien Niklas Luhmann bereits kennen, werden sich durchaus wundern. Denn die Schriften, auf die sich die Autoren beziehen, entstammen offenbar der frühen Entwicklung des systemtheoretischen Ansatzes des großen Soziologen, und zwar den 1960er Jahren. Insofern beziehen sie die weiter entwickelten Gedanken, die in die umfassende Theorie sozialer Systeme münden, nicht ein. Durch diese Konzentration auf die Frühphase bleiben wesentliche Konzepte in den Ausführungen kaum bis nicht berücksichtigt, ermöglichen indes eine leicht verständliche Annäherung.
Der Vorteil mag in der Intention der Autoren liegen. Sie möchten eine leicht verständliche Handreichung für Mitarbeiter mit und ohne Führungspositionen anbieten, und das gelingt durchaus insofern, als sie einzelne und hier gegenwärtig sehr populäre simple Überlegungen zum Führen und Geführtwerden mit differenzierenden Gedankengängen Niklas Luhmanns vorstellen, die die Frage nach Funktion und Funktionalität sowie deren beabsichtigten und unbeabsichtigten Wirkungen stellen und folglich in Analysen und Empfehlungen münden, die Leser durchaus überraschen – und ermutigen, andere, auch konträre Sichtweisen einzunehmen. Insofern adressiert das Buch sowohl Führungspraktiker und Mitarbeiter als auch Berater, Trainer, Coaches in der betrieblichen, organisationalen Weiterbildung. Denn diese setzen vorzugsweise am Individuum an und bleiben auf Handlungsebene, während Niklas Luhmann von Beginn an (und in der Frühphase stark von Talcott Parsons geprägte) das Verhältnis von Struktur, Funktion und Akteur sowie das Innen und Außen (Systemgrenzen) in den Blick nimmt.
Bereits diese Hinweise verdeutlichen, dass die Ausführungen der Autoren, die sich eng an Luhmann halten, gängige Annahmen, Analysen und Lösungsansätze mit jenen konfrontieren, die sie Niklas Luhmann zuschreiben. In jedem Fall lenken sie die Aufmerksamkeit der Leser auf die Frage nach der Funktion und funktionalen Äquivalenten, um einen Zweck so erreichen, dass unerwünschte Neben- und Fernwirkungen möglichst gering ausfallen. Diese Frage richtet sich sowohl an organisationalen Eigenheiten als auch auf personale Charakteristika, Eigenlogiken und deren Wirkungen. Dass in den Erörterungen phasenweise ein sprachlicher Duktus dominiert, der die differenzierenden Gedanken Luhmanns verwässert, ist bedauerlich, ebenso wie Paraphrasierungen oder Frageformulierungen nach dem Motto „Einfach gesagt“, die zuweilen gar am eigentlichen Kern vorbeigehen. Immerhin wird dies öfter geglättet durch Zitate, die Formulierungen Luhmanns wiedergeben.
Die Kapitel, von wechselnden Autorenpaaren verfasst, tragen im Titel jeweils eine These, die neugierig macht insofern, als sie im Zeichen einer Luhmannschen Formulierungsweise steht und kontraintuitiv anmutet. Alle Kapitel weisen die gleiche Struktur auf, die dem Leser hilft, wesentliche Gedanken mitvollziehen zu können. Anlass, Kontext der Fragestellung und ausgehend von bzw. bezugnehmend auf Alltagssituationen fächern sie leicht nachvollziehbar und mit Kernaussagen am Rand gekennzeichnete Überlegungen auf. Herkömmliche Betrachtungs- und Handlungsweisen werden jenen gegenübergestellt, die Niklas Luhmann in seinen frühen Schriften anbietet. Am Schluss jedes Kapitels findet sich eine Zusammenfassung „À la Luhmann“.
Da die Autoren sich auf die Frühphase des Gesamtwerks Luhmanns beziehen, gehen sie offenbar davon aus, dass Leser den international renommierten Soziologen bzw. dessen Werk nicht oder bestenfalls vom Hören-Sagen und also nicht kennen. (Dazu steht zwar der Titel „Lehren von Luhmann“ in Kontrast; denn aufmerksam werden primär jene, die ihn kennen.)
In jedem Fall hätte es sich empfohlen, eine knapp gefasste Werkbiographie anzufügen, kurz kommentiert, nicht zuletzt, um Reichtum und Entwicklung (auch: fort von Parsons) des Gedankengebäudes von System- und Entscheidungstheorie zu skizzieren, insbesondere Konzepte wie Autopoiesis, Erwartungs-Erwartungen, Kommunikation und generalisierte Kommunikations- und (Teil-) System-Codes, Differenztheorie, das Ende der Rede von „Mensch und Organisation“ hin zur Fassung voneinander differenzierter Systeme mit Eigenlogiken (dies deuten die Autoren in dem Kapitel „Mensch bleiben in der Organisation“ immerhin zaghaft an, wenngleich mit Konzession an neuere moralisiert-psychologisiert-emphatische Rhetorik und Semantik). Im Schlussteil „Service“ werden die wenigen „Erstpublikationen der Texte, auf die Bezug genommen wird“ aufgeführt und Hinweise „Zum Weiterlesen, zum Hören und zum Sehen“ gegeben.
Trotz der Kritiken sei das Buch insbesondere Berufseinsteigern und -neulingen sowie jungen Führungskräften empfohlen, da die Lektüre sie anreget, intellektuelle und dadurch emotionale Distanz zum Geschehen einzunehmen, den Ich- und Person-Fokus zu verlassen und ein „Statt dessen“ im Denken und Handeln gedanklich und fallweise empirisch zu probieren. www.gabal.de www.dr-mahlmann.de