Helikopter-Elter
Autor | Josef Kraus |
Verlag | rowohlt |
ISBN | 9783498034092 |
Der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes wählt einen frisch-frechen Ton, der allerdings nicht in Saloppheit abgleitet, sondern eine ernst zu nehmende Polemik demonstriert. Die Ausführungen kreisen um ein bekanntes Phänomen, das Josef Kraus als Komplementarität, fast als dialektischen Prozess herleitet: Helikopter-Eltern und –kinder und ihn dialektisch fasst. Er wendet sich gegen Pädagogisierung sämtlicher Lebensbereiche; denn die pädagogische Totalvereinnahmung fordere persönlich, gesellschaftlich, volkswirtschaftlichen einen hohen, um nicht zu sagen: desaströsen Preis (vgl. dazu auch Norbert Blüm, weitere Literaturhinweise im Buch sowie das Buch der Rezensentin: Unternehmen in der Psychofalle).
Josef Kraus schreibt nicht alarmistisch. Engagiert, pointiert und vorzugsweise „evidenzbasiert“ plädiert er für den Abschied einer nur permissiv und lobenden Erziehung sowie einer Pädagogik, die sich vor den kommerziellen und ökonomischen Karren sparren lässt..
Er zeigt Ambivalenzen und den Zusammenhang mit utilitaristisch durchfärbter Betrachtung von Kindheit auf. Insbesondere Eltern neigen aus knapp umrissenen Gründen zu einem Überbehütungs- und Verschonungsverhalten und – der Politisierung von Pädagogik sei dank – selbst pädagogische Erziehung an Ausbildungseinrichtungen beteiligen sich an der Produktion des Peter-Pan-Syndroms. Eltern wie Schulen/ Hochschulen praktizieren vorzugsweise eine Gefälligkeitspädagogik, die mittels inflationär guter Noten (unabhängig von der tatsächlichen Leistung) nicht zuletzt das Kind, den Heran- und dann Erwachsenen benachteiligen und schädigen. Denn sämtliche Phänomene von Overprotection gehen einher mit Lernbe- und –verhinderungen sowie einer Anerkennungs-Sucht, die die Betroffenen zu Pawlowschen Hunden, nicht aber mündigen Erwachsenen erziehen. auf
Die Ausführungen laden ein, den Diskurs zu erweitern, etwa um philosophische Aspekte (Martha Nussbaum), um bildungstheortische und –kritische (Roland Murgerauer) und Autoren nahe liegender Disziplinen aus Psychologie, Pädagogik, Neurowissenschaft; zu letzteren findet der Leser Hinweie im Buch.
Der Autor bemüht sich, zentrale Entwicklungen seiner These historisch herzuleiten, um ihr Auftauchen verständlich zu machen. Er streift auch die digital sozialisierten Heran- und jungen Erwachsenen, ohne die spezifischen gerade auch bildungs-, lernrelevanten Einflüsse (Algorithmen begrenzte Welt (J. Larnier), Gamification-Psycho-Logik) näher in den Blick zu nehmen. Das ist kein Makel; denn das Augenmerk liegt auf elterliche Verwöhnerziehung und ihre individuellen, sozialen, volkswirtschaftlichen Folgen.
Josef Kraus bietet einen Lichtblick an: Er skizziert, worin eine autoritative Erziehung besteht, welchen Werten und Normen sie folgt und welche Vorteile sie hat: für alle Beteiligten und auch Gesellschaft und Wirtschaft.
Ohne dass man jeder Auffassung, Deutung, Folgerung zustimmen muss: ein lesenswertes Buch nicht nur für Pädagogen, sondern den breiten Bereich von Weiterbildnern. Als Hinweis für betriebliche Weiterbildner: Es gibt nicht nur Folgewirkungen in Unternehmen, sondern zahlreiche Parallelen. Leider.
Dr. Regina Mahlmann, www.dr-mahlmann.de