Skip to main content

Kreation und Depression

Autor Christoph Menke/Juliane Rebentisch (Hsg.)
Verlag Kadmos
ISBN 978-3-865-99174-4

Der Untertitel „Freiheit im gegenwärtigen Kapitalismus“ klingt auf den ersten Blick kämpferischer als der Inhalt letztlich daher kommt (jetzt hat LeserIn gleich drei Sinne adressiert erhalten ;-) – rein verbal!): Trainer, Berater, Coaches und Führungskräfte dürften interessante Sichtweisen und Inputs u.a. aus soziologischer Perspektive näher kommen!  Mir selbst ist von den AutorInnen nur Gilles Deleuze ein Begriff, tatsächlich auch dem eigentlichen Alfabet des I. Teiles voran gestellt (Postskriptum über die Kontrollgesellschaften, S. 11ff.). Das „Programm“ stellen die Herausgeber im Vorwort mit „Zum Stand ästhetischer Freiheit“ vor – sie mögen kurz zu Wort kommen: „Im Zentrum des Bands steht ein Befund gegenwärtiger Gesellschaftskritik: Eigenverantwortung, Initiative, Flexibilität, Beweglichkeit, Kreativität sind die heute entscheidenden gesellschaftlichen Forderungen, die die Individuen zu erfüllen haben, um an der Gesellschaft teilnehmen zu können. Sie haben das alte Disziplinarmodell der Gesellschaft ersetzt, ohne dabei freilich die Disziplin abzuschaffen.“ Woran der oben erwähnte Gilles Deleuze (S. 13) andockt wie folgt: „In den D. hörte man nie auf anzufangen (von der Schule in die Kaserne, von der Kaserne in die Fabrik), während man in den Kontrollgesellschaften nie mit irgendetwas fertig wird: Unternehmen, Weiterbildung, Dienstleistung sind metastabile und koexistierende Zustände ein und derselben Modulation …“. Was wiederum Alain Ehrenburg in seinem Beitrag „Depression: Unbehagen in der Kultur oder neue Formen der Sozialität“ zu folgendem Fazit führt (S.61): „Im Laufe der vergangenen drei oder vier Jahrzehnte haben wir die Verallgemeinerung von Berufen und Methoden erlebt, die darauf abzielen, die in sie Involvierten, seien es nun Klienten, Kunden oder Patienten, zu Handelnden in Sachen Selbstveränderungen zu machen; dies ist nicht mit der Schwächung und Psychologisierung sozialer Bindugnen zu verwechseln.“ Was übrigens Dr. Regina Mahlmann zu ihren Gedanken in „Unternehmen in der Psychofalle“ mit geführt haben mag (business village, hier auch besprochen). – Weitere Annotationen: S. 93 (Über Kreativität, Ulrich Bröckling): „Die Aufforderung „Sei kreativ!“ ist nicht weniger paradox als das legendäre „Sei spontan!“ …. Kreativitätsförderung ist Kontextsteuerung; sie schafft nichts, sie ermöglicht.“ Es geht in diesem Band natürlich (auch) um Kunst, etwa bei Tom Holert („Formsachen“, S. 129ff.) – und dabei zugleich um mehr als das, nämlich um „Netzwerke, Subjektivität, Autonomie“. „Wofür es sich zu leben lohnt“ von Robert Pfaller bietet z.B. dies (S. 204): „Klarerweise hat man diese angeblich bildungsfernen Schwachen gerade durch alle in ihrem Namen getroffenen Maßnahmen letztlich jeglicher Möglichkeit beraubt, an der Universität so etwas wie unversitäre Bildung jemals auch nur kennenzulernen …“. Sie sehen, es geht immer wieder um (Weiter-)Bildung in diesem Band. Und letztlich (Kapitalismus!) auch um Konsum, siehe „Ein anderer Geschmack“ von Christoph Menke – nämlich „Weder Autonomie noch Massenkonsum“ (S. 226ff.). Wohlgemerkt, der Band bietet eine Menge mehr – dies ist meine subjektive Auswahl mit Eselsohren … HPR

Hanspeter Reiter