Skip to main content

Werte. Ein Streifzug durch Theologie und Wissenschaft

Autor Hermann T. Krobath
Verlag Königshauen + Neumann
ISBN 978 3 8260 4088-7

Das 2011 von Hermann T. Krobath herausgegebene Buch „Werte in der Begegnung“ hat einen Vorläufer: das von ihm geschriebene Werk: „Werte. Ein Streifzug durch Philosophie und Wissenschaft“, das 2009 erschien. Ihm ist diese Besprechung gewidmet.

Seit Jahren wird eher weniger als mehr profund von „Werten“ gesprochen; das Be-Werten hat zuweilen dramatisch einseitige Ausmaße angenommen und einengende Kontrollschleifen in unserer Gesellschaft erzeugt. Doch statt die intellektuelle Brille aufzusetzen und aus der Perspektive nicht nur individueller, sondern auch gesellschaftlicher Verantwortung, demokratischer Verfasstheit und Generalisierbarkeit von Werten, Bewertungen zu diskutieren, dominiert das häufig ironisch zitierte Gutmenschtum mit all seiner ideologischen Verblendung, intellektuellen Verkürzung und Rechthaberei – unter Berufung auf Werte. Dass im politischen Raum, in der bürgerlichen Öffentlichkeit, ebenso in  verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen (der Autor behandelt neben Philosophie und Wissenschaft als Metakategorie im Speziellen Psychologie und Soziologie) die Diskutierenden, Plädierenden, Debattieren in der Regel nicht wissen, worüber sie sprechen, wenn sie von Werten sprechen, wird deutlich, je mehr man in dem Buch liest.

Es ist dem Philosophen und Sozialwissenschaftler Hermann T. Krobath, Jahrgang 1941, Gründer und Leiter des Instituts für philosophische Fragen in Wien und heute tätig als philosophischer Berater, schon allein aus diesem Anlass zu danken dafür, dass er Mut zu seinem Streifzug zeigt.

Mehrfach betont er, dass es sich nicht um einen systematischen, philosophiegeschichtlichen oder –kritischen Streifzug handelt (in der Tat: wer das möchte, muss zu anderen Autoren greifen), sondern um einen, dessen Maß der Stationen (Personen, Modelle, Theorien) die vom Autor eingeschätzte Einfluss- oder Wirkmacht und vermutlich auch Sympathie von Personen bzw. Theorien und Modellen ist – unter pragmatischem Vorzeichen; denn profitieren sollen vorzugsweise philosophische und psychologische Berater. Und die können profitieren, völlig unabhängig davon, ob sie die Ausführungen bzw. Parteinahmen affirmativ lesen oder nicht.

Worauf es zunächst ankommt, ist, dass der Autor den Lesenden die Augen öffnet: Dass trotz der 556 Seiten Text keine Übersicht über philosophisches Nachdenken über Werte, Normen, Moral, über Ethik und Ethos, über Wertphilosophie oder (normative, deskriptive, Meta-) Axiologie und praktische Anwendungen sowie ihre Korrelationen, geschweige denn kausalen Verknüpfungen mit Einstellungen und Verhalten – dass also trotz des enormen Seitenumfangs zum Trotz keine Übersicht, indes immerhin eine vertiefte und expansive Ein-Sicht möglich ist.

Wer den Ausführungen folgt, mag beim ersten Durchgang staunen: „… und ich dachte, ich wüsste, was Werte sind“; oder auch, mit einem Augenzwinkern: „Ich bin nun verwirrt, allerdings auf einem höheren Niveau.“

Dieses höhere Niveau verdankt der Leser den (zugegebenermaßen nicht immer eleganten oder didaktisch gekonnten) differenzierenden Einkreisungen des Themas mit verschiedenen Wertphilosophien und –begriffen, mittels Darlegungen von Werten in der Wissenschaft generell, in Psychologie (Persönlichkeit und Werte) und Soziologie (Gesellschaft, Milieu, Gruppe und Werte) bis hin zur empirischen Forschung in den Sozialwissenschaften, konkret zu korrelativen und kausalen Zusammenhängen von Werthaltungen und –verhalten, von Persönlichkeitseigenschaften und wertebezogenem Tun und Lassen.

Hermann T. Krobath setzt auf den interessierten, den Leser bzw. beratenden Praktiker, der motiviert ist, sich intellektuell tiefergründig mit Werten auseinander zu setzen. Dieser Fokus bringt mehrerlei hervor: unterschiedliche Annäherungen an das Thema, an Begriff und Konzeptionierung von Werten, Referat verschiedener Positionen (historisch, gegenwärtig), Zusammenfassung bzw. ausführliche Darstellung empirischer Befunde zu Wechselwirkungen, Messbarkeit von Werthaltungen , Persönlichkeitsdisposition und Verhalten (inklusiv der Unterscheidung zu  Einstellung, Motiv, Bedürfnis, Interesse). Der Autor lädt den Leser in philosophisch angemessener Manier ein, sich von Argumenten, Definitionen etc., die Philosophen und Wissenschaftler hervorgebracht haben, selbst zu überzeugen, nämlich anhand außergewöhnlich langer Zitate. (Der Leser sollte unbedingt in der Lage sein, englisch sprachige wissenschaftliche Texte zu lesen; denn diese sind zahl- und umfangreich zitiert.)

Die Lektüre dieses Buches empfehle ich trotz einiger Bedenken bezüglich etwa der Auswahl und Darbietung von Theorien und empirischen Forschungen, des Jahrgangs von Referenzliteratur, der zuweilen etwas assoziativ wirkenden Ausführungen und Erörterungen, die es insbesondere Lesern mit wenig Vorbildung erschweren, dem Gedankengang zu folgen und den roten Faden im Auge zu behalten.

Nochmals: Ich empfehle das Buch dennoch: als intellektuell anregend, als Option, sich im Werte-Wald grob zu orientieren, als Angebot, sich mit dem Thema in seiner Komplexität weiterführend zu befassen und als Vorlage für sowohl analytisches Nach-, Be-, Überdenken über mannigfach popularisierte Behauptungen, deren intuitive Plausibilität einleuchten mag, indes empirischer Beweisführung harrt; als auch als Vorlage für fundierte Kritik an Vereinfachungen, etwa in der imperativischen Variante des „werte orientierten Führens“ von und in Organisationen. (Die Thematik Wirtschaftsethik bzw. Werte in den Wirtschaftswissenschaften und in der Wirtschaftswelt klammert der Autor bedauerlicherweise, indes bewusst, aus.)

Dem Vorläufer des 2011 vom Autor herausgegebenen Band seien schon deshalb zahlreiche Leser gewünscht, weil die Lektüre hilft, das Reden über Werte und von Werten, das generalisierende, universalisierende Postulieren bestimmter und bestimmender (!) Werte und Ansprüche an Subjekte wie Kollektive, an Disziplinen und Praktiken unterschiedlicher Provenienz und kultureller Prägung zu differenzieren, zu klären und auf ein höheres: angemesseneres Niveau zu heben.

Regina Mahlmann