Unternehmenskultur als Erfolgsfaktor: Wertebasierte Unternehmenstransformation mit der Value Party
Autor | Christian Grätsch , Susanne Grätsch , Oliver Grätsch |
Verlag | FAZ-Buch |
ISBN | 978-396-251181-4 |
Das Autorentrio greift ein seit gut vier Jahrzehnten in Fach-, Sach-, Populärratgeberliteratur bearbeitetes und präsentes Thema auf, dem viel zitierten „Erfolgsfaktor Unternehmenskultur. Der Untertitel weist auf drei Aspekte hin, die dem Beratertrio offenbar wichtig sind: Wertebasierung: Werte als Fundament, Unternehmenstransformation im Unterschied zu Kulturchange im Sinn einer umfassenden Wandlung des Unternehmens sowie Mentalität und Handlungsweisen der Mitglieder derselben, und drittens die „ValueParty“ als Höhepunkt, als Feier am Schlusspunkt eines ersten wesentlichen (iterativen Gestaltungs-) Prozesses der Kulturveränderung, quasi als Belohnung für alle Beteiligten, die sich indes auf einen work in progress einzustellen haben. (Wie zur einen und anderen Vorlage können sich Leser eines QR-Codes zur ValueParty bedienen.)
Der Adressaten der Ausführungen sind offenbar maßgeblich zum einen jene, die sich von der pädagogisch-didaktisch motivierten direkten Anrede in Duzform und/oder von der engmaschigen Führung angesprochen fühlen; zum anderen Unternehmensmitglieder, die sich in einem gesteuerten kulturellen Wandlungsprozess engagieren möchten und thematisch (und praktisch) diesbezüglich noch wenig kundig sind. Die Leser erhalten einen Rundumblick auf zentrale Begriffe, haben Teil an Überlegungen zur Komplexität eines kulturellen Wandlungsprozesses, lernen Spezifika der Begriffsdeutung und dend funktionalen Stellenwert von Werten (die auch als „Meme“ vorgestellt werden, womit die Autoren definitorische Charakteristika von Werten zunehmend vernebeln) und anderen zentralen Konzepten der Autoren kennen, erhalten einen selektiven methodischen Einblick in die umfangreiche Materie „Unternehmenskultur“, Werte bis hin zu „Unternehmensleitbild“.
Anhand einiger weniger ausgewählter Modelle erfahren sie, wie kulturelle Prägung, Haltung, Überzeugung, kurz: Mentalität und Verhalten auf individueller Ebene erhoben, kontextuiert, „transformiert“ werden können, sowohl auf individueller als auch auf kollektiver Ebene. Die Leser werden an die Hand genommen, um einzelne Etappen zu absolvieren, von der Erhebung Einschätzungen der Ist-Kultur sowie zu der der Wunsch-Kultur, individuell begonnen und auf einer spitz zulaufenden Leiter in kleineren, repräsentativen Gruppen bis hin zu Botschaftern. Die Werteprofile fungieren als Ausgangs—und Schlusspunkt für materielle Fragen zur Unternehmenskultur; der gesamte Prozess ist partizipativ und iterativ angelegt. DieLeser werden zudem immer wieder aufgefordert, eigene Einstellungen, Haltungen, Überzeugungen und Handlungen zu befragen und sich bewusst und kenntnisreich für oder gegen das Übernehmen von Verantwortung zu entscheiden. Wer bei dem Begriff „ValueParty“ zunächst an eine vergnügliche Arbeit denkt, sozusagen mit hohem Spaßfaktor, der wird einen Realitätscheck durchlaufen; denn die Handlungsanleitungen offenbaren, dass es sich um eine Arbeit handelt, die neben unangestrengten Fertigkeiten Ausdauer, Frustrationstoleranz und Disziplin erfordert – und vorzugsweise am anderen (immer: vorläufigen) Ende steht, wenngleich das Erreichen von definierten Meilensteinen ebenfalls gefeiert werden kann. Bei den akkurat ausgeführten Schritten in der Handlungsanleitung kann es Lesern dennoch zuweilen schwierig erscheinen, zu erkennen, welche Gruppen/Einzelne in welcher Weise unternehmensweit partizipieren und welche repräsentieren; die Transformation erfordert beides: Basisbeteiligung und repräsentative Formen, um den Gestaltungsprozess unternehmensweit durchzuführen bzw. zu leben.
Die konzeptionelle, didaktisch-methodische Anlage des Buches hat seine Stärken in der Schritt-für-Schrittführung, der Ausführlichkeit der Schilderung dessen, was wie von wem aus welchen Gründen und mit welchem Ziel sowie auf Basis welcher Werte zu tun ist. Unterstützung in der Orientierung der Leser geben zudem die (grafisch dargestellten) Modelle, das Kartenspiel zur Ermittlung von Werteprofilen; es bringt ein spielerisches Element im Zusammenhang von Werte-Erhebung/-diagnose und Wunschausrichtung ein. (Solche Wertekarten gibt es inzwischen zahlreich und modellunabhängig). Neben einer zuweilen gleichsam pathetisch wirkenden wert-schätzenden Sprache findet der Leser Orientierung in Hinweisen auf sogenannte Don`ts und Do`s und in „klare Ansagen“, Anweisungen und indiskutable Kompetenzen und Bereitschaften, die er mitbringen muss, um Verantwortung in bestimmten Funktionen/ Positionen zu übernehmen. Die Autoren formulieren eindeutig, was nach ihrer Auffassung Verantwortungsübernahme bedeutet: selbst einstehen; nicht Unangenehmes auf Teams und andere Personen abladen, sondern persönlich einstehen (für maßgeblich beeinflussbare Folgewirkungen).
Die praktische Ausrichtung hat indes ihren Preis, den insbesondere mit der Materie Vertraute (etwa Personaler, Beraterkollegen, change agents) erkennen. Dieser besteht darin, dass die Autoren zwar, wenn auch in der Regel persönlich und eher ideologisch als theoretisch bezogen, begründen, warum sie bestimmte Modelle anwenden – bedauerlicherweise ohne Metareflexion, ohne Offenlegung von anthropologischen Annahmen (und deren Herkunft, Implikationen, Folgen) und ohne Hinweise auf das Panorama zahlreicher verschiedener Ansätze und Perspektiven, die in Fach- und Sachliteratur debattiert werden. Gar der Aspekt von Inter- und Transkulturalität, die in einem kulturellen Gestaltungsprozess eingedenk der wachsenden Internationalität von Belegschaft („Diversität“) enorme Bedeutung erlangt hat und spezielles Verstehen, Denken, Handeln erfordert. Von dem Mangel an Metareflexion, an Ausführungen zum Nachdenken über die gewählten Modelle ist ein zentrales Modell maßgeblich betroffen, das Werte- und Kulturverständnis im Buch dominier: Genese (hier ein Nacheinander von Phasen), Begriff, Konzept, Gestaltung orientieren sich an Graves, einschließlich der anthropologischen Grundannahmen. Ohne eine auch nur grob gezeichnete oder zumindest bezeichnete Begründung für die Entscheidung zu einem Modell, das in fachlichen Kreisen kontrovers diskutiert und durchaus auch abgelehnt und ersetzt wird.
Einige Beispiele: Debattiert wird, inwiefern es für Unternehmen sinnvoll, zielführend, konkurrenzfähig, passend, nützlich ist, „wertebasiert“ im wörtlichen Sinn zu arbeiten. Warum, um ein Beispiel zu nennen, nicht basiert, also gegründet auf und begründet durch Interessen, Ziele, Zwecke, konkrete Vorhaben, priorisierte Nutznießer von Unternehmen und Marktteilnehmern, shareholder-, stakeholder –„Values“? Warum, um einen weiteren Aspekt zu nennen, Haltungsethik und nicht Verantwortungsethik? Warum Überzeugungs- und damit Moral- und Identitätsfragen (die zudem hochgradig konfliktträchtig sind) als fundamental betrachten versus Pragmatismus (an (graduierbaren) Folgen orientiert)? Etc. Werte werden hierbei nicht ausgeblendet, sondern erhalten einen anderen, dem Wirtschaftssystem und seiner Primärlogik, seinem Code (siehe Niklas Luhmann) adäquaten Stellenwert; sie gelten nicht als Bedingung der Möglichkeit erfolgreichen und Bedürfnisse von Mitarbeitern (also rollenspezifisch konzentriert) einspeisenden unternehmerischen Agierens auf dem Markt, sondern als etwas Begleitendes, durchaus auch Zusätzliches, das insbesondere für das soziale Miteinander (Kooperation, Kollaboration, Verantwortungsübernahme, produktives, konstruktives Nutzen von regelfreien/-armen Zonen) hilfreich und dem Menschlich-Allzumenschlichen Rechnung trägt (siehe exemplarisch Niklas Luhmann, Oswald Neuberger). Etc.. Die Dispute unter Angehörigen verschiedener Wissenschaften (insbesondere Philosophie, Sozial-, Wirtschaftswissenschaften) legen dramatisch dar, welche Risiken Unternehmen eingehen, mit welchen drastischen Konflikten, Antagonismen, unerfüllbaren Erwartungen heterogener Einstellungen sie einkalkulieren und welche sie bewältigen müssen, sofern sie im Wortsinn „wertebasiert“ operieren wollen. Zumindest Hinweise darauf, gekoppelt mit Literaturangaben, stellen ein dringendes Desiderat dar, gerade dann, wenn man, wie das Autorentrio immer wieder betont, die Leser ernst nehmen und als selbstdenkende Persönlichkeiten betrachten möchte. In diesem Kontext ist es zudem wünschenswert, Hypothesen als Vermutungen, Annahmen, Thesen als Thesen, also Annahmen/ Behauptungen zu kennzeichnen, um klar zu machen, dass man sich auch für andere entscheiden kann.
Als an dieser Stelle schließlich genannte Kritik betrifft: das mehr als dünne, die literarischen Bezugnahmen der Autoren nicht annähernd wiedergebende und wenig fachlich/sachlich weiterhelfende Verzeichnis „Quellen/Ergänzende Literatur“. Trotz kritischer Anmerkungen kann das Buch der drei Geschäftsführer einer Berliner Unternehmensberatung aufgrund der oben genannten pädagogisch-didaktischen Anlage materialreich dabei unterstützen, sich zu gegenwärtigen, inwiefern und aus welchen Gründen, mit welchen Zielperspektiven ein unternehmenskultureller Transformationsprozess gesteuert, gestaltet werden soll, welcher Aufwand (Zeit, Personen, Leistbarkeit, Ressourcen) in etwa zu erwarten ist und welche konkreten Schritte zielführend sein können.