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Leichentücher

Autor Marko Hautala
Verlag dtv
ISBN 978-3-423-21477-3

Finnland ist Gastland der Frankfurter Buchmesse 2014 – das zeigt Wirkung: Diverse Verlage bringen Übersetzungen finnischer Autoren, die bisher in deutscher Sprache fehlten. Hautala z.B. verknüpft seine beiden Expertisen exzellent, als Lehrer für englische Sprache und Literatur und früherer Pfleger in der Psychiatrie. „Der ganz normale Wahnsinn“ ließe sich dieser Psychothriller sozusagen auf den Punkt bringen. Im Sinne der alten Standardfrage, wonach sich die Definition eines psychischen Krankheitsbildes denn richte – und wer normal sei, welche Messlatte anzulegen, siehe die derzeit wieder aufflammende Diskussion um ADHS [&] Co. In „Leichentücher“ zeigen sich dem Leser sehr rasch unter Pflegern und Klinikleitung Anzeichen psychischer Störungen, zwar klassisch deutlich stärker bei den Patienten, doch in welchem Grade? Und was steckt hinter dem Verhalten des weg gesperrten Kindermörders Olavi Finne (sic!), der nur von Katzen spricht, wenn er denn spricht – Katzen, die er vor dem Mord an seinem Großneffen einbalsamiert hatte, weswegen sein Spitzname Sinuhe ist, altägyptische Gottheit. Schicksale beider Seiten werden verknüpft, Patienten einerseits, Personal andererseits: Zu Olavi Finne „gehört“ nun Mikael, der mitten in einer Lebenskrise steckt. Überraschende Entwicklungen ergeben sich, auch durch dessen sterbenskranke Ehefrau Sanaa. Welche Leichen sind begraben und noch aufzufinden? Erst als ein alter Kamerad aus Kriegszeiten auftaucht, Finne zu besuchen, ist Leser im Stande, die parallelen Stränge zu verbinden, die Hautala ihm bietet … Anders als in diesem Thriller, gibt es in einem anderen eine Art „Happy-ending“, zumindest für einige der handelnden Personen: Auch „Schatteninsel“ hat seine eigenen Obsessionen, die dort allerdings einige Jahrhunderte zurück reichen. So schafft der Autor jeweils einen eigenen Kosmos, hie in der im Wortsinne abgeschlossenen Klinik, dort auf einer vom Meer umschlossenen Insel: Jedes ein Gefängnis ureigener Art! Inwiefern finnisches Leben und Finnlands Gesellschaft transportiert werden, mag Leser selbst entscheiden, wenn dazu in der Lage J … Jedenfalls: Selten spannend, exzellent orchestriert wie übrigens auch übersetzt … Ein Lesevergnügen – doch nachdenklich machend. Und vielleicht motivierend, mehr davon und von finnischer Literatur überhaupt zu besorgen. HPR

Hanspeter Reiter