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Lehren und lernen – aber wie?

Autor Martin Wellenreuther
Verlag Schneider Hohengehren
ISBN 973 834013101

Der 2009 pensionierte Sozialwissenschaftler (Schwerpunkt Schulpsychologie) kennt sich in Unterrichtsfragen aus. Er arbeitete u.a. an einem von der DFG geförderten Forschungsprojekt zur Entwicklung verständlicher Unterrichtsmaterialien für lernschwache Schüler mit und war Mitarbeiter im Institut für Pädagogik an der Universität Lüneburg. Diese Hinweise führen bereits in den – auch im Untertitel benannten – Schwerpunkt des Forschungsbandes: Martin Wellenreuther widmet sich der Frage nach einer schulischen Bildung, sprich Unterricht, indem er, theoretisch untermauert, speziell auf experimentelle Lehr-Lernforschung eingeht, als Antwort auf die Vielfalt methodisch fragwürdiger Empirie, darauf fußender Praxis und Verunsicherung von Lehrern an Schulen. Dieser Ausgangspunkt wird am Schluss des Buches noch einmal aufgenommen, abgerundet durch eine Zusammenfassung und einen Ausblick.

 

Sein Ziel ist klar beschrieben: Er möchte aufzeigen, wie gelungener Unterricht aussehen kann, ein Unterricht, der alle Kinder und Jugendlichen anspricht, zum Lernen motiviert und insofern professionelle Lehrerinnen und Lehrer als souveräne Persönlichkeiten und methodisch wie theoretisch versierte Pädagogen profiliert.

 

Um dieses Ziel zu erreichen, schlägt er einen weiten, indes stets am roten Faden seines Kerninteresses entlang laufenden Bogen und bietet in jedem Kapitel eine Skizze einschlägiger Theorien, innerwissenschaftlicher Dispute und Standpunkte; er erörtert die Chancen und Risiken, die Vorteile und Schwächen der Positionen, legt sie auf die Folie der praktischen Anforderungen (Bedingungen der Möglichkeit), geht auf ausgewählte experimentelle Forschungen näher ein, diskutiert sie kritisch und fasst am Ende des Kapitels die wesentlichen Aspekte zusammen. Sein häufiges Plädoyer für ein Sowohl-Als-auch, etwa bei der Frage von instruktivem und handlungsorientiertem Unterricht, ist stets begründet und auf praktische Erfordernisse und Leistbarkeit der Lehrer bezogen.

 

Das Buch bietet vier Teile, die in Kapitel und diese wieder in Unterkapitel gegliedert ist. Die vier Teile befassen sich mit: „Bildungskatastrophen und Professionalität“: Im Fokus stehen hier Schulstudien TMSS und Pisa, eingewoben in Fragen der schulischen Lernkultur und kritisch diskutiert in Bezug auf Erhebungs-, Auswertungsdesign und Auswertungsfragen sowie Folgerungen).

 

Teil zwei widmet sich „Lernen und Gedächtnis“. Im Fokus behandelt der Autor einen theoretischen Ansatz, der Unterrichtsmethoden an der Belastungsfähigkeit des Arbeitsgedächtnisses misst; eine These, die sämtliche Ausführungen zu gelungenem Unterricht aus der Sicht der Schüler grundiert.

 

Der dritte Teil, „Erklären – Klassen führen – Schüler motivieren“, geht näher ein auf die Relevanz von Sprache. Etwa: Entwicklungsniveau bei Schülern und dessen Auswirkungen auf das Unterrichtsdesign, insbesondere auf mündliches und schriftliches Aufbereiten, Erklären, Darlegen, didaktische Verwendung von mündlichen und schriftlichen Texten im Hinblick auf Verständlichkeit und Lernerfolgswahrscheinlichkeit sowie auf das moderne (modische?) Arrangement und die Praxis von „Klassenmanagement und Klassenführung“ sowie „Testen, Argumentieren und Motivieren“; hier spielen auch Fragen der spezifischen Kennzeichen der Lebensphase der Kinder bzw. Jugendlichen eine Rolle – immer im Hinblick auf Lernerfolgswahrscheinlichkeit bei den Schülern.

 

Der vierte Teil befasst sich mit, spätestens seit Hatties Metaanalysen populären Frage nach der Art des Unterrichts: instruktiv versus handlungsorientiert versus offen. Nach ausführlicher Diskussion mündet die Empfehlung des Autors in eine genaue Betrachtung der Bedingungen der Möglichkeit mit dem Horizont größtmöglichen Lernerfolgs. Daher fragt er nach den Voraussetzungen bei Schülern, Lehrern, Infrastruktur sowie nach der Art des Wissens und Könnens, das vermittelt bzw. entwickelt werden soll. Beispiel: Instruktiver Unterricht (inklusiv Übung und Anwendung) empfiehlt sich für alle (!) Schüler dann, wenn es gilt, sich Grundlagenwissen und Übersichtwissen anzueignen, um auf dieser Basis (!) Anknüpfungspunkte für weiter führendes Lernen (von Neuem) unter minimaler Belastung des Arbeitsgedächtnisses und – via Didaktik – maximaler Wahrscheinlichkeit, Wissen ins Langzeitgedächtnis zu überführen. Dabei können handlungsorientierter und gar offener Unterricht helfen, mit, das ist wichtig, verschobenem Zielschwerpunkt, etwa zu Gunsten sozialer Fertigkeiten. Mit diesem Blick auf die Bedingungen der Möglichkeit im Rahmen des Erkenntnisinteresses (gelungener oder „guter“ Unterricht) diskutiert Martin Wellenreuther auch Konzeptvarianten des „kooperativen“ Lernens.

 

Zwar wendet sich der Autor in erster Linie an Lehrende in Schulen. Indes können, da sich die Psycho-Logik des Lernens bei Adoleszenten und Erwachsenen strukturell zum Teil gleich, zum Teil ähnlich bleibt, auch Lehrende an anderen Bildungseinrichtungen und auch Weiterbildner wertvolle Hinweise erhalten. Nicht unbedingt inhaltlicher Art, sondern bezüglich theoretischer, konzeptioneller und pragmatischer Hinsicht. Um dieses Buch mit Gewinn zu lesen, braucht es auch keinen Konsens mit dem Autor in allen Fragen. (So sollte man in dem Kapitel zum Gedächtnis durchaus aktuelle Literatur und insbesondere neurobiologische und –psychologische Ausführungen konsultieren. Auch das Vertrauen in experimentelle Forschung muss man nicht teilen, ebensowenig den Schlussfolgerungen einiger (!) empirischer Resultate folgen.)

 

Um dieses Buch als Lehrender in der Erwachsenen-, Fort-, Weiterbildung mit Gewinn zu lesen, sollten Lesende ihre spezielle Klientel gedanklich präsent haben – und folglich praktische Fragen, Probleme, Herausforderungen, die sie kennen und denen sie (anders als bisher) begegnen möchten.

 

Hanspeter Reiter, www.dialogprofi.de

Hanspeter Reiter