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Bozzetto

Autor Beyeler / Schneeweis
Verlag Weissbooks
ISBN 978-3-863-37069-5

Ein Bozzetto, das ist quasi das Modell für eine Skulptur oder ein Gemälde, ein Entwurf. Das ist für sich genommen noch nichts Außergewöhnliches. Doch wenn einem solchen Bozzetto besondere Wunderkräfte zugesprochen werden resp. dem jeweiligen Besitzer Fluch-Folgen drohen, ähnlich manchen (ägyptischen und anderen) Mumien, dann wird eine Geschichte daraus. Auch deshalb, weil sich für eine solche „Skizze“ auch ableiten lässt, dass in ihr die eigentliche Botschaft stärker erkennen lasse als im eigentlich Werk, das vielleicht den Umständen geschuldet anders ausgeführt werden musste, siehe angedeutet im Fortsetzen der Definition, hier bei Wikipedia:  „In der Malerei werden Bozzetti auch als ‚macchia‘ (it. für Fleck) oder ‚schizzo‘ (it. etwa: Das Hingespritzte) bezeichnet. Der italienische Kunstphilosoph Benedetto Croce schreibt in seiner „Theorie der Macchia“ über die Bedeutung des Entwurfes in der Kunst, dass sie der springende Punkt sei, an dem das Charakteristische des Kunstwerks sich hervorbringe. Für Croce läuft der eigentliche künstlerische Prozess in der schrittweisen Annäherung vom ersten Eindruck zum fertigen Werk ab.“ Dem folgen offenbar Neo-Nazi-Kreise, genauer gesagt alte Nazis und deren Gefolge, die durch verschwundene Nazi-Vermögen finanzierte Refugien bewohnen und sich sogar ein Wiedererwecken alter Nazi-Größen (bis hin zu Adolf Hitlers versteckten Leichnam) erhoffen, gar erwarten. Womit die Autoren Verschwörungs-Theorien aufnehmen, inkl. Schweizer Geheimkonten. Gespielt wird zudem mit der Homophobie jener Kreise, aufgenommen mit eigenem Schwulsein jener Person, die in der Jetzt-Zeit das Netzwerk noch lebender Ehemaliger und rekrutierter neuer „Jünger“ lenkt. Ach ja, beim Bozzetto handelt es sich um jenen, den Michelangelo als Entwurf seines Freskos „Jüngstes Gericht“ in der Sixtinischen Kapelle 1534 auf einer Holztafel angefertigt hatte, also vor bald einem halben Jahrtausend. Seiner Jahrhunderte durchdauernde Verschwindens- und Wiederauftauch-Geschichte sind einige Strecken des fast 600-seitigen Opus gewidmet, geschickt eingestreut in Dialoge und Ergebnis-Berichte der Rechercheure. Bis hin zum Ziel, ihn letztlich wieder an einen Ort zu verbringen, an dem künftig ausgeschlossen ist, dass er weiteres Unheil bringe, nämlich: Tod für den Besitzer. Und dieser Thriller ist ein durchaus mehrschichtiger, scheint das Zusammenspiel beider Hauptpersonen sich doch in den Personen der Autoren zu spiegeln (oder umgekehrt): Beyeler ist ein schweizerischer Kunstsammler und Mäzen, Schneeweis ein deutscher Schriftsteller und früherer Rechtsanwalt. Beide vereint eine jahrzehntelange Begeisterung für diesen Bozzetto, die sie nun in einen Roman gegossen haben. Ob allerdings der „Hersteller-Hinweis“ ein Marketing-Gag sein soll …? „Ab 16 Jahren“ – aufgrund welcher Szenen? Tatsächlich gibt es angedeutete Sex-Szenen zwischen Hetero- und Homo-Paaren, doch weit von Pornografie entfernt … Das Erscheinen  dieses Thrillers passt optimal in eine Zeit, in der rechte Netzwerke verstärkt ans Licht der Öffentlichkeit kommen, siehe NSU [&] Co. Und natürlich ist der Bozzetto schlicht das, was sonst als „Heiliger Gral“ in diversen Geschichten auftaucht, etwa zu Tempelrittern und anderen Vereinigungen. Diese hier ist eine gut gelungene mit vielen Spannungsbögen. Die wohl bestens recherchierte historische Tatsachen verarbeitet, siehe Nazi-Kunstraub, u.a. im Paris des Zweiten Weltkriegs. Was auch an den „Gurlitt-Fall“ erinnert, im weitesten Sinne … HPR

Hanspeter Reiter