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Harte Zeiten

Autor Karl August Tavaststjerna
Verlag dtv
ISBN 978-3-423-14350-9

„Erzählung aus Finnlands letzten Notjahren“ lautet der Untertitel, der allerdings nur innen auf dem Titelblatt genannt wird, geschrieben aus eigenem Erleben von einem, dessen Name dem Leser schon zeigt: Das ist seine Heimat, dieses Tavastland. Und so führt der Verlag selbst dieses Buch ein, das fast wie Dokufiktion daher kommt, erschienen im Jahr des Gastlandes Finnland der Frankfurter Buchmesse 2014 (siehe auch Zeittafel S. 267ff., zu Leben und Werk des Autors und seiner Rezeption seit dem frühen Tod 1898 mit 38 Jahren): „Finnland im Jahr 1867: Ein eisiger, nicht enden wollender Winter zieht sich bis in den Juni. Erst am Mittsommertag zeigt sich die Frühlingssonne, die Felder liegenbrach, an Ernte ist nicht zu denken. Hunger, Krankheit und Tod sind die Folge. Diese»harten Zeiten« bilden die Kulisse, vor der Karl August Tavaststjerna ein Bild der erschreckenden sozialen Gegensätze und desgesellschaftlichen Umbruchs in seinem Landzeichnete. Während sich die Oberschicht auf den Gutshöfen dem Luxus hingibt, kämpfen die Armen ums Überleben.“ Doch macht sich Solidarität stark bemerkbar, vielleicht schon mal ein Anklang des Nationswerdens: Reich hilft arm, wenn auch mit unterschiedlicher Einstellung. „Der Staat“ dagegen zeigt sich als Optimierer, der die Not-Situation seiner Bürger eher noch ausnutzt, etwa beim Eisenbahn-Bau: Die Löhne fallen auf die Hälfte, weil mehr Billigkräfte zur Verfügung stehen – plötzlich können die Beamten fröhlich geringere Ausgaben planen als vorgesehen (S. 141). Ein Weg, der heutzutage auch bei überteuerten Großprojekten wie dem BER-Flughafen kaum akzeptiert würde. Seinerzeit mag das auch damit zu tun haben, dass (Land-)Bevölkerung und „Großkopferte“ durchaus unterschiedlichen Ethnien angehörten: Noch ist Finnland russisches Großfürstentum, ein halbes Jahrhundert vor der Unabhängigkeit, stark schwedischer Geschichte verhaftet, somit sprachlich schwedisch orientiert, was zu einer zusätzlichen Kluft zwischen Ober- und Unterschicht führt und sich z.B. bei Prozessen auswirkt: Schwedisch ist die Gerichtssprache, auf Finnisch wird nur zusammen gefasst (z.B. S. 195) … Und auch zwischen den Regionen gibt es durchaus Wettbewerb wie auch innerhalb Solidarität. Dies und noch mehr macht diese „Erzählung“ deutlich. – Just im Herbst 2014 erschien auf Deutsch eine andere Geschichte über harte Zeiten, des anderen großen finnisch-ugrischen Volkes, das eine solche Sprache noch spricht: Ungarn. Mit dem himmelweiten Unterschied, dass es dort um kärgste Armut auf dem Lande geht – in heutiger Zeit statt vor 150 Jahren … Ein Tätigkeitsfeld, das Herrn Orban besser zu Gesicht stünde als jene Sündenbock-Suche, die seine Politik (auch) 2014 auszeichnet(e)? HPR

Hanspeter Reiter