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Du denkst nicht mit dem Kopf allein

Autor Thalma Lobel
Verlag Campus
ISBN 978-3-5933-9993-5

Im Klappentext ist zu lesen, Thalma Lobel, Psychologin und Professorin an der Universität Tel Aviv und seit dreißig Jahren Forscherin zu Verhaltens- und Geschlechterpsychologie, zeige „erstmals die Verbindung zwischen externen sensorischen Einflüssen und unserem Handeln“. Allerdings … Der Forschungsansatz des „Embodiments“, der der Autorin als Referenz dient, ist (antike Quellen ausgelassen) seit Beginn und Mitte des 20. Jahrhunderts, etwa bei Uexküll und Merleau-Ponty, um nur zwei Protagonisten zu nennen, in Wellen en vogue. Psychosomatik, Psychomotorik, Phänomenologie, Ausdruckstheorie, Ethnomethodologie, interaktionistische Ansätze in Linguistik und Ästhetik, interdisziplinäre Konzepte, einschließlich neurowissenschaftlicher Forschung, kennen den wechselseitigen Einfluss von Leib und Psyche seit langem. Da die Autorin essentiell mit Metaphern arbeitet, sei auf den von der Autorin nicht erwähnten interaktionistisch-empiristischen Ansatz von Lakoff und Johnson erwähnt, die in „Metaphors we live by“ in extenso die Leibverbundenheit und körperliche Bezogenheit auf Denken, Fühlen, Handeln, also Beeinflussung von sensomotorischen, mentalen, kognitiven und behavioralen Lebensäußerungen (Bewertungen, Urteile bis zu Handlungen) darlegen. (Lakoff hat sich zudem mit Politischen Metaphern und deren Auswirkungen beschäftigt.) Bekannter im deutschsprachigen Raum wurde der Embodiment-Ansatz ab Ende der 1990er und – bereichert um neurobiologische Aspekte – um die Jahrtausendwende herum. Möglich, dass die Zusammenstellung von Experimenten erstmalig ist. In der Tat reiht sich ein Experiment an das andere. Eingedenk des Umstandes, dass gerade die psychologische empirische Forschung in den letzten Jahren an Glaubwürdigkeit verloren hat, beschwört die Autorin im Epilog geradezu die Validität der von ihr berichteten Versuchsanordnungen, die für den skeptischen Leser in methodischer Hinsicht Fragen offen lassen und an denen fast ausschließlich Studenten teilnahmen.  Thalma Lobel ist von dem „Wahrheitswert“ der Embodiment-Theorie und den experimentell empirischen Ergebnissen überzeugt. Sie deutet die zahlreichen Versuchsanordnungen dominant ultimativ mit Jargon des „So ist es“ und verknüpft dies mit mehr oder weniger plausiblen Begründungen sowie mit Empfehlungen für praktisches Verhalten. Eines der bekanntesten Beispiele dürfte sein, dass Menschen, denen man ein warmes Getränk in die Hand drückt, „weicher“, entgegenkommender, freundlicher würden, als hätten sie ein Kaltgetränk in der Hand. Abgesehen davon, dass die Wirkung maßgeblich von weiteren Faktoren abhängt, etwa Wärmeempfinden, Durstigkeit, fällt bei den Interpretationen und Verhaltensempfehlungen genau dies auf: Kontextfaktoren werden vernachlässigt. Das gilt auch für Wirkungsbeziehungen in weiteren Kategorien wie Körpergröße/Macht, Schönheit/Urteile, Helligkeit, Dunkelheit/Moralisches Handeln, Gut, Böse/Oben, Unten. Was die Aneinanderreihung der Experimente eindrücklich zeigt, ist, wie stark nicht bewusste Sinnesreize Fühlen, Denken, Verhalten/ Handeln beeinflussen bzw. gar justieren, bahnen und vice versa, und wie einfach es ist, menschliches Tun gezielt zu manipulieren, indem man sensorische Reize in bestimmter Weise präsentiert. Denn anders als etwa Tversky und Kahneman und auch das Gros der Verhaltensökonomie legt das Embodiment den Schwerpunkt auf die sensomotorisch-psychische Verflechtung anstatt auf kognitive Prozesse. Wer einen Einblick in die Vielfalt und Originalität der Experimente im Rahmen der Embodiment-Forschung gewinnen, einen Zugang zum Ansatz und seiner empirischen Erforschung erhalten möchte und dies kombiniert mit praktischen Verhaltensempfehlungen in leicht lesbarer Weise, greife zu diesem Buch.

Dr. Regina Mahlmann, www.dr-mahlmann.de

Hanspeter Reiter