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Perfidia

Autor James Ellroy
Verlag ullstein
ISBN 978-3-550-08897-1

„Das zweite L.A.-Quartett, Band 1“: Das verweist auf viele weitere Bücher einer Serie, mit durchaus wiederkehrenden Protagonisten. Und so ist es auch: Der Autor schreibt die Stadt-Geschichte von Los Angeles und bietet wirklich eine Menge Lokal-Kolorit – passend zur erzählten Situation könnte ich auch schreiben „einen Haufen Lokal-Kolorit“. Geht es doch um Multi-Kulti (Japaner, Chinesen, Juden, Mexikanern – Schwarze nur am Rande, „dennoch“ eine Menge Rassimus im Spiel …), um Korruption und Mord, Drogen und Prostitution, alles unter dem Deckmantel von Recht und Gerechtigkeit: Da scheinen dem Leser aktuelle Geschehnisse in den USA „kaum der Rede wert“, so knallhart kommt´s daher … Ich weiß, das ist verdammt flapsig – und zumindest verstehbar aufgrund des „berichteten“ Zeitraums: Tatsächlich kommt der Roman quasi als Teil-Reportage daher – und startet am Tag vor dem japanischen „Überraschungs-„Angriff auf Pearl Harbour auf Hawaii. Während das erste L.A.-Quartett 1946-1958 spielt, setzt der erste Band des zweiten also die Zeit davor in Szene, gut drei Wochen Ende 1941, nämlich 06.-29. Dezember. Schließlich soll der Mord an vier „Japsen“ vor Neujahr aufgeklärt sein, so der derzeitige Boss des LAPD (wenn ich´s noch recht durchblickt habe). Eine Familie komplett ausgelöscht, vielleicht im Zusammenhang mit Spionage und „Fünfter Kolonne“, wegen Pearl Harbour? Was zunächst sogar fast als sepukku durchgeht (japanischer ritueller kollektiver Selbstmord), erweist sich mehr und mehr als eine desaströse Verquickung von Politik, Polizei und Potenz: „Männer und Frauen mit großen Seelen geraten in Los Angeles im Monat von Pearl Harbor aneinander. Sie haben große Überzeugungen, große Träume und ein tief gestörtes Pflichtbewusstsein. Sie arbeiten mit- und gegeneinander, um ein großes Verbrechen aufzuklären , und streben groß und ruchlos nach Liebe. “Perfidia“ ist die Quintessenz dessen, was ich über die Kunst und das Handwerk des Geschichtenerzählens, was ich über Geschichte, über Männer und Frauen weiß, und über die immer wieder drängende Frage, warum Menschen tun , was sie tun. Ich bin in die Vergangenheit hinabgestiegen und mit einem Geschenk für Sie zurückgekehrt . Das ich mit meinen allerbesten Wünschen anzunehmen bitte. James Ellroy“ Auf 940 Seiten breitet er ein Panorama an Charakteren aus: „Die Ermittlungen bringen vier Menschen zusammen: Einen brillanten Forensiker, japanisch-amerikanischer Abstammung, eine junge Frau, von einer unbändigen Abenteuerlust getrieben, einen Polizisten, den es wirklich gab: William H. „Whiskey Bill“ Parker, später Chef des LAPD, und einen, der ein Produkt von Ellroys unnachahmlicher Phantasie ist: Dudley Smith, die perfide Verkörperung des Bösen.“ Nachfolge-Politik, Drogen-Wahn und Armee-Fluchten sind bunt durchmischt – alles recht perfide, in der Tat (span. „perfidia“ = Verrat): Wer mit wem, wer gegen wen – und warum eigentlich? Tatsächliche Personen der Weltgeschichte treten en masse auf, wie im Anhang auch dargestellt – darunter Roosevelt wie auch die Kennedys, geradezu glänzend porträtiert, wie aus allgemeinen Veröffentlichungen nachvollziehbar. Nur bedingt „unterhaltsam“, doch längenfrei spannend. Auch durch den Wechsel von Ich-Perspektive und Erzähler, Reportage-Charakter und Tagebuch, Und trotz teils verwirrender Fülle an Geschehnissen und beteiligten Personen immer mit „roten Fäden“, die sich schließlich aufdröseln (lassen). Und gerade dadurch abwechslungsreich. HPR

Hanspeter Reiter