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Warum wir verstehen, was andere fühlen

Autor Gregory Hickok
Verlag Hanser
ISBN 978-3-446-44312-9

„Der Mythos der Spiegelneuronen“ treibt schon seine Blüten weitläufig, auch in die Weiterbildung hinein: Was da alles an Seminaren an diesem Stichwort aufgehangen wird (aufgehängt hoffentlich weniger)! Übrigens, auch wenn ich mich immer wieder selbst korrigieren muss: Wenn schon, sind das „Spiegelneurone“ im Plural, Singular: das Neuron. Doch geht es dem Autor – exzellenter Spezialist für derlei! – nicht etwa darum, diese Hirn-Areale als nicht vorhanden oder funktionslos zu entlarven, vielmehr diskutiert er ausgiebig und mit eigenen wie fremden Studien-Ergebnissen unterlegt, was denn Sinn und Zweck der Aktivitäten entsprechender Areale sei: „Angeblich sorgen sie dafür, dass wir verstehen, was andere fühlen: die Spiegelneuronen. Die Bedeutung dieser winzigen Nervenzellen ist jedoch nichts als ein Mythos. Der renommierte Spezialist in der Hirnforschung Gregory Hickok bringt die größte Spekulationsblase der Psychologiegeschichte zum Platzen. Er erläutert, wie Forscher der Versuchung erliegen konnten, von Experimenten an Affen auf menschliche Gehirne zu schließen. Hickok beweist, dass Spiegelneuronen für das Verständnis von Handlungen nicht notwendig sind. Und er zeigt anschaulich, wie Empathie und Sprache durch ein ausgefeiltes Zusammenspiel von Hirnregionen tatsächlich entstehen. Ein Buch, das unseren Blick auf das Gehirn von Grund auf verändert.“ Denn „das Gehirn muss mit sensorischer Information vor allem zwei Dinge tun: Erstens muss es verstehen, was es wahrnimmt, und zweitens muss es wissen, wie es entsprechend der Wahrnehmungen handeln soll.“ (S. 83) Womit dann auch die „Motor-Theorie der Sprachwahrnehmung“ aus den späten 1980-er Jahren wieder ins Gespräch komme (S. 120ff.) Es herrsche Konsens darüber, dass Wahrnehmung und Handlung komplexe Systems sind, die sensorische Information aktiv umwandeln und Handlungen dynamisch steuern“ (S. 158) – ergo auch Spiegelneurone in einem umfassenderen Zusammenhang zu verstehen sind. Was dann die Verbindung zum Embodiment schafft, als „eine Alternative zur Informationsverarbeitung“ (S.159ff., in der Headline noch mit einem „?“), als verkörperlichte Kognition. Theory of Mind als unsere Fähigkeit zu erkennen, dass andere eigene Gedanken verfolgen, gehöre zu einem Standard-Netzwerk unseres Gehirns, das quasi immer aktiv sei – das denkt, indem wir schlafend träumen (S. 220). Und das ist der zentrale Kritikpunkt von Hickok: „Verstehen ist ein sehr komplexer Vorgang mit vielen Unwägbarkeiten. Man kann nicht einen Teil herausgreifen und ihn zur Grundlage des Handlungsverständnisses erklären …[denn dort] interagieren sehr viele Elemente.“ (S. 232) Voila – von denen eines immerhin die Spiegelneurone bleiben J …“Ich befürworte hier eine assoziative Interpretation … anderen Ursprungs: Sie stammt aus dem experimentellen Training selbst und nicht aus der sensomotorischen Übertragung eigener Handlung auf … Anderer.“ (S. 254) Doch „woher kommt der Homo imitans“ denn dann (S. 255ff.)? Weitere Aspekte sind zu diskutieren, und das erledigt der Autor mit höchster Energie, echter Verve! Um schließlich zu schließen (S. 307ff.): „Meiner Prognose nach werden die Spiegelneuronen irgendwann vollständig in eine umfassendere Klasse sensomotorischer Zellen eingegliedert werden, die an der Handlungssteuerung mitwirken“. Ergo – es gibt sie, ihre Funktion ist weiter zu hinterfragen. Was mir gefällt, denn allzu sehr wurden sie in den letzten vier, fünf Jahren missbraucht, für Themen von Lehren und Lernen. Lasst sie uns vorsichtiger „händeln“ J Andererseits erklären derlei Konzepte aus der Hirnforschung exzellent Wirkweisen wie NLP … HPR

Hanspeter Reiter