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Zwischen dem Sagen und dem Tun liegt das Meer!*

Der GABAL-Vorstand hat mir vor einem Jahr die Ehrenmitgliedschaft verliehen. Das entsprechende Dokument ist zwar verschollen, aber schwach erinnere ich mich daran, dass ich – seit dem Studium befreundet mit Hardy Wagner – als 16. Mitglied aufgenommen wurde. Die Ehrenmitgliedschaft ist also eine Senior-Mitgliedschaft. Senior heißt „der Ältere“.

Das Wichtigste, was wir, die Älteren, den jungen Mitgliedern, jungen Menschen überhaupt, schulden, ist Zukunft. Ihnen etwas „ins Stammbuch schreiben“ – genügt das?

Ich habe kürzlich versucht, mein Privatarchiv zu vernichten. Archiv klingt wie ein geordnetes, alphabetisch und zeitlich strukturiertes System. Meines ist eher anarchisch. Es reicht zurück bis 1967. Damals wurde ich Chefredakteur von PLUS, Zeitschrift für Unternehmensführung. Zugleich begann die Sammelei wertvoller Zeitungsausschnitte, die uns jungem Team – wir waren zunächst nur drei Redakteure – Hinweise auf wichtige Themen und exzellente Autoren gegeben haben. Unsere einzige Sekretärin konnte ich nicht auch noch damit belasten, Ordner anzulegen. Das besorgte meine Frau. Natürlich unbezahlt und unbezahlbar. Später konnten wir uns diesen Luxus nicht mehr leisten. Da wurde einfach Aussriss auf Ausriss in ein Fach, dann in einen Karton gelegt. Diese Tradition habe ich bis heute beibehalten – und weiß erstaunlicherweise, was wann wo zu lesen war und in welchem Haufen zu wühlen wäre. Zugegeben – nicht immer.

Wie gesagt – ich wollte nun alles in den Altpapier-Container kippen. Und bin gescheitert. Natürlich beginnt es damit, dass man zunächst den einen oder anderen Artikel zu lesen beginnt. Dass man Wiedersehen feiert mit großartigen Beiträgen von großartigen Autoren. Dass man auf Prognosen z.B. aus den 70er Jahren stößt für die kommenden Jahrzehnte und voller Neugier prüfen will, welche Voraussagen sich erfüllt und welche sich als Irrtum erwiesen. Wohlgemerkt vor der Wiedervereinigung, vor dem Euro, vor dem PC, Internet und E-Mail für jedermann. Auch vor GABAL.

Ich will es kurz machen: Was wir heute als vermeintliche Krise empfinden, wurde seit Jahrzehnten prognostiziert. Und es wurden beharrlich Wege aufgezeigt, wie man die Entwicklung zum Besseren wenden könne. Das gilt für das Menetekel der drohenden Arbeitslosigkeit ebenso wie für die Innovationsfähigkeit von Unternehmen, für Kundenorientierung ebenso wie für motivationsstarke Führungsmethoden. Von Massenentlassungen sprach man damals, wenn 100 Mitarbeitern gekündigt werden sollte. Sehr wohl war bereits in den 80er Jahren erkannt worden, dass „der Sozialstaat ohne tiefe Einschnitte am Ende“ sei, und dass in Zukunft immer mehr Komponenten und Alltagsprodukte in Niedriglohnländern produziert würden. Allerdings galt das damals als konstruktive Entwicklungshilfe für Schwellenländer, deren Bevölkerung von besserer Infrastruktur und modernen Arbeitsplätzen profitieren sollte. Auch der Begriff „Globalisierung“ taucht vor gut 30 Jahren auf – als globaler Segen.

Douglas McGregors „The Human Side of Enterprise“, seine „Theorie X“ und „Theorie Y“ wurde nach Erscheinen der deutschen Übersetzung 1970 bei ECON heiß diskutiert und in Workshops vertieft. Aktive Lern- und Trainingsmethoden revolutionierten die Seminare.

Nichts außer jene medientechnologischen Novitäten unserer Zeit kann heute als wirklich neu gelten. Keine Management-Methode, die – ihres modischen Nimbus entkleidet – wirklich neu wäre. Es ist schwer, beim Blick in die Schätze meines Archivs nicht in tiefe Frustration zu verfallen. Was haben die zigtausend Seminare, Kongresse, Zeitungsartikel, Zeitschriften und Fachbücher bis heute bewirkt? Innerbetrieblich und makroökonomisch? Dass Professor Fredmund Malik heute noch die ganz einfachen Manieren der Führungaskräfte anmahnen muss, nur mal „Danke“ oder „Bitte“ gegenüber ihren Mitarbeitern zu sagen? Dass Mobbing zu einer üblen Volkskrankheit geworden ist? Dass engagiertes Be-Dienen des Kunden, der etwas kaufen will, eine Seltenheit blieb? Dass der Gast in einem Restaurant oder Hotel sich immer noch oft als lästiger Störer empfinden muss? Dass uns der Vorstandsvorsitzende von General Electric bei „Christiansen“ in zehn Sätzen eine Lektion über die wahren und über die illusionären Stärken unserer Volkswirtschaft erteilen muss – die wir schon vor 20 Jahren hätten lesen und in Strategien umsetzen können?

Muss ich mich mit schuldig fühlen, dass es unserer Generation nicht gelang, kluge Sätze in kluges Handeln zu transferieren? Dass Seminare und Kongressbesuche Incentives waren, mehr nicht? Dass das erworbene Know-How danach abgeschüttelt wurde wie Wasser aus einem Hundefell? Beraten – Begleiten – Trainieren lautet mein Komplettangebot. Am häufigsten wurde auf „Begleiten“ verzichtet.

Zwei Pappkartons voller Wissen, Erkenntnissen und Erfahrungen – von Fachbibliotheken einmal abgesehen – würden uns heute, wäre dies alles umgesetzt worden, den Spitzenplatz im globalen Wettbewerb sichern. Hätten ausgereicht, um die Arbeitslosigkeit zu minimieren. Hätten ausgereicht, um in Deutschland eine optimistische, zukunftsoffene Grundstimmung zu erzeugen.

Wir Alten können so gut wie nichts mehr daran ändern. „Der Worte sind genug gewechselt, lasst mich auch endlich Taten sehen!“ fordert der Theaterdirektor im Vorspiel vom „Faust“. Das ist die Quintessenz, gezogen aus dem Blick in mein Archiv. Das möchte ich den GABAL-Trainern, Coaches und Beratern, insbesondere natürlich den Unternehmern und Managern ins Stammbuch schreiben: Helft die klugen Erkenntnisse in Taten umzusetzen.

Die italienische Lebensweisheit lässt keine Illusionen zu: Zwischen dem Sagen und dem Tun liegt das Meer. Stürme, Brecher, Riffs und Untiefen sind zu überwinden. Ohne kluge Navigation werden wir in Unternehmen, Organisationen und in der Weltwirtschaft nicht wieder ein lebenswertes „Land in Sicht“ haben. Navigation ist ein treffliches Synonym für Management.

Soll ich nun mein Privatarchiv vernichten?

*Ital. Sprichwort: „Dal dire al fare c’è di mezzo il mare!”

Dr. Werner Siegert – Plus-Beratung
Zugspitzstraße 6, D-82131 Stockdorf
Tel. 089/8571317, Fax 089/85609896
www.ziele-siegert.de



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