Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur
Autor | Andrea Wulf |
Verlag | C. Bertelsmann |
ISBN | 978-3-570-10206-0 |
„Ganz wie Humboldt selbst
…ist Andrea Wulfs Buch eine unerschöpfliche Quelle des Wissens und äußerst unterhaltsam“ hat The Times es auf den Punkt gebracht: Tatsächlich lassen sich die weit über 400 Seiten (plus weit über 100 Seiten Anhang) auch in einem Schwups durchlesen, fast wie eine Dokufiktion. Der Epilog fasst auf wenigen Seiten zusammen, was Alexander von Humboldt ausgemacht hat, als Universal-Forscher (anders als Goethe, den Universal-Gelehrten – übrigens gab es auch zwischen diesen beiden enge Kontakte). Und warum heutzutage wenig bewusst ist, was alles er bewirkt hat, in vielen Jahrzehnten.
Der Einfluss
„Was hat Alexander von Humboldt, der vor mehr als 150 Jahren starb, mit Klimawandel und Nachhaltigkeit zu tun? Der Naturforscher und Universalgelehrte, nach dem nicht nur unzählige Straßen, Pflanzen und sogar ein »Mare« auf dem Mond benannt sind, hat wie kein anderer Wissenschaftler unser Verständnis von Natur geprägt, als lebendigem Ganzen, als Kosmos, in dem vom Winzigsten bis zum Größten alles miteinander verbunden ist und dessen untrennbarer Teil wir sind“. Immerhin hat er sein zusammen fassendes Hauptwerk (in fünf Bänden, der letzte kurz vor seinem Tod vollendet, mit beinahe 90 Jahren!) „Kosmos“ genannt – und hatte zunächst geplant, es „Gäa“ zu nennen, Gaia also. Ihn definiert die Biografin als jenen Wissenschaftler, der als erster erkannt hat, wie sehr der Mensch Einfluss nimmt auf „seine“ Erde, wie sehr er sie verändert – und damit die Zukunft der Menschheit prägt. Und übrigens auch jene Lateinamerikas aus damaliger Sicht: Bolivar als Revolutionär, der die Unabhängigkeit von Spanien erkämpfte, war einige Zeit Weggefährte AvHs, das Selbstverständnis der entstehenden Staaten hatte viel mit der Wertschätzung zu tun, die das Erforschen bisher „uninteressanter“ Weltengegenden durch ihn deutlich wurde. Und mit seinen für die damalige Zeit sehr liberalen Ansichten, die er auch in seinen vielen Schriften deutlich machte, und in seinen Kontakten.
Die Rolle
„Die Historikerin Andrea Wulf stellt in ihrem vielfach preisgekrönten – so auch mit dem Bayerischen Buchpreis 2016 – Buch Humboldts Erfindung der Natur, die er radikal neu dachte, ins Zentrum ihrer Erkundungsreise durch sein Leben und Werk. Sie folgt den Spuren des begnadeten Netzwerkers und zeigt, dass unser heutiges Wissen um die Verwundbarkeit der Erde in Humboldts Überzeugungen verwurzelt ist. Ihm heute wieder zu begegnen, mahnt uns, seine Erkenntnisse endlich zum Maßstab unseres Handelns zu machen – um unser aller Überleben willen.“ Wie sehr andere Influencer wiederum von ihm geprägt waren, zeigt die Biografin in abschließenden Kapiteln ausführlich und dennoch kompakt auf, nachdem sein Leben bereits abgeschlossen dargestellt ist: Darwin, Thoreau, Haeckel und andere. Und in Deutschland als früher OER-Protagonist, der seine Vorlesungen gratis gab …
Der Mensch
Zu einer Biografie gehört natürlich weit mehr als „nur“ das professionelle Handeln – und auch hier wird der Leser bestens bedient: Der Einfluss der Mutter, früher Wettstreit mit dem (zwei Jahre älteren) Bruder Wilhelm, der erst spät wieder zu seiner wissenschaftlichen Berufung (zurück) findet, nach jahrzehntelangem Dienen am preußischen Staat, was indirekt auch seinem Bruder half. Die Schwägerin, das Fehlen anderer weiblicher Personen in seinem Leben und sein Fixiertsein auf immer neue männliche Begleiter. Hin und her gerissen von der Abhängigkeit von Zuwendungen preußischer Herrscher und seinem Freiheits- und Reise-Drang, musste er sich zeitweise arrangieren.
Die Autorin
…ist in Indien geborgen und in Deutschland aufgewachsen, lebt und forscht allerdings seit 20 Jahren in England. Die Biografie ist in Englisch erschienen und ins Deutsche übersetzt. Dieses „Weltmännische“ mag auch ihr Interesse geprägt haben, für einen Menschen, den es eigentlich auch nach Indien gezogen hatte, was ihm verwehrt blieb: Asien erreichte er auf seiner Russland-Expedition im hohen Alter. – Dass die Autorin ihre Tochter Linnéa genannt hat (ihr ist das Buch gewidmet), wirft schon ein eigenes Licht auf sie und ihre eigene intensive Beschäftigung mit der Geschichte der Naturforschung: eindeutig ein Anklang an Carl von Linné, der natürlich in diversen Passagen des Buches eine Rolle spielt. HPR