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Alibi für einen König

Autor Josephine Tey
Verlag Oktopus
ISBN 978-3-311-30035-9

„Die Wahrheit ist das Kind das Zeit“, notiert die Autorin in ihrem preisgekrönten Roman, der 1951 unter dem Titel „The Daughter of Time“ publiziert wurde. Tatsächlich und höchst aktuell: falsche Tatsachenbehauptungen (Fake-news), nicht zusammenpassende Indizien, deren Inkonsistenzen von Schulbuchautoren, Biographen der Hauptperson, nämlich Richard III, und gar von Historikern, geschweige denn Dramatikern wie Shakespeare, ignoriert wurden – sie setzen die detektivische Aufarbeitung der Kernfrage in Gang: War Richard III der Mörder zweier Knabenprinzen, gab er deren Ermordung in Auftrag? Bis heute ist diese Frage ungeklärt.

Fiktion zu Fakten
Die Detektivarbeit erbringen ein im Spital liegender Inspector vom Scotland Yard und ein junger Wissenschaftler, die akribisch historische Quellen durchforsten und dabei eine beachtliche Anzahl an historisch verbürgten Akteuren, deren Interessen, Verbindungen, Taten und Ambitionen sowie Wechselwirkungen unterschiedlicher Ereignisse durchleuchten.
Anlass für die Suche nach einem Alibi für Richard III bietet ein Portrait des Königs, verflochten mit unterschiedlichen Deutungen, die das Portrait von dem Inspector, zwei Krankenschwestern und Besuchern formulieren. Von Mimik, Körperhaltung und Physiognomie (die im Verlauf des Romans ebenfalls thematisch werden) schließen sie jeweils unterschiedlich auf charakterliche Eigenheiten und berufliche Positionen – immer mitschwingend bei der Recherche.

Spannende und leichte Lektüre
Der kurze Roman ist äußerst ansprechend geschrieben: flüssig, mit amüsanten Metaphern und Analogien, originellen Charakteren und einer gekonnten Spannungsführung. Leser, die sich in der Zeit Richard III, seiner Vor- und Nachfahren, dem Übergang zur Herrschaft der Tudors und den komplizierten Verwandtschaftsverhältnissen nicht auskennen, können zwischendurch den Faden verlieren. Dankenswerterweise nimmt der Inspector Zusammenfassungen vor, um selbst Ordnung in die Informationen zu bringen und seinem wissenschaftlichen Helfer sowohl das Recherchieren als auch das kriminologische Schlussfolgern zu erleichtern. Ein leichter, humorvoll geschriebener Roman, in dem zentral die Frage verhandelt wird, wie sich Wahrheit herstellt, wie sie in welchen Kontexten und im Rahmen welcher Interessen geformt wird und wo überall sie Niederschlag findet. HPR www.dialogprofi.de www.gabal.de

Hanspeter Reiter