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Alles, was wir geben mussten

Autor Kazuo Ishiguro
Verlag Heyne
ISBN 978-3-453-42154-7

Der Originaltitel des Buches von Kazuo Ishiguro, dem diesjährigen Nobelpreisträger für Literatur, lautet: Never let me go. Das ist der Titel eines Liedes, das die Erzählerin, Kathy, während ihrer“ Internatszeit“ auf einer Kassette immer wieder hört, begleitet von der Sehnsucht nach einem „normalen Leben“ als Mutter.
Der deutsche Titel bezieht sich auf das Schicksal der Kinder und Heranwachsenden in Hailsham, einer internatsähnlichen Einrichtung, in der die Lehrer allerdings Aufseher genannt werden. Denn sie sind nicht nur für die Erziehung der Sprösslinge zuständig, sondern sollen auch dafür sorgen, dass sich die Heranwachsenden, auch und gerade in der Pubertät, so verhalten, dass sie gesund und unverletzt bleiben.
Und dies hat seinen Grund; denn „Alles, was wir geben mussten“ ist: alles, was sie an biologischer Ausstattung haben und von jenen nachgefragt wird, die Organspenden benötigen.
Dieses Fatum, als „Klone“, wie es zuweilen im Roman (sachlich allerdings fragwürdig) heißt, aufzuwachsen und ihre Identität als Spender und Betreuer von Spendern zu arrangieren, wird den Kindern in dem fast paradiesischen Hailsham laut Erzählerin eher sublim vermittelt. Diese indirekte Aufklärung trifft auf psychische Verdrängung insofern, als Kathy meint, die Betroffenen wollten es gar nicht realisieren.
Das prädestinierte Schicksal der Kinder und Jugendlichen wird vom Autor einrahmt in eine Erzählung von Kathy, einer Hailshamerin, die sich selbst und ihre Beziehung zu Tommy und Ruth in den Vordergrund schiebt und gleichzeitig einen Einblick gewährt sowohl in das (vor allem glückliche) Aufwachsen in Hailsham als auch die Zeit danach, in einer anderen Wohngemeinschaft und von dort ausgehend in ein „eigenes“ Leben, als Spender bzw. Betreuer.
In weiten Strecken liest sich der Roman wie ein Erlebnisbericht einer ehemaligen (und zuweilen sehr egozentrischen) Internatsschülerin aus einem normalen Internat. Die Indirektheit der Aufklärung in der Erzählung verdoppelt sich insofern, als der Leser bei eher ungewohnten Begrifflichkeiten und Redewendungen aufmerken sollte. Direkt aufgeklärt und damit mit der ethischen Grundfrage konfrontiert werden Protagonisten und Leser durch den Besuch bei einer ehemaligen Aufseherin und „Madame“, die für die „Galerie“ in Hailsham jene literarischen und visuellen Kunstwerke der Kinder und Jugendlichen ausgewählt hat, die als besonders schön und aussagekräftig gelten.
Es sind die Dialoge dieser direkten Aufklärung, die den Leser schlussendlich nachdenklich zurücklassen.
Dr. Regina Mahlmann, www.dr-mahlmann.de

Regina Mahlmann