Altes Land
Autor | Dörte Hansen |
Verlag | Knaus |
ISBN | 978-3-8135-0647-1 |
„Mit scharfem Blick und trockenem Witz erzählt Dörte Hansen von zwei Einzelgängerinnen, die überraschend finden, was sie nie gesucht haben: eine Familie“, so der Umschlags-Text. Und tatsächlich ist das der Kern der Geschichte, doch findet Leser sehr viel mehr als das auf knapp 300 Seiten: Einen tiefen Einblick z.B. in das Landleben, das so völlig anders ist als es in Landlust & Co. erscheinen mag, den in den letzten Jahren äußert erfolgreichen Magazinen für Stadtmenschen mit Sehnsüchten jenseits des Urbanen. Und da erwischen wir sie schon, die Autorin, selbst Journalistin, die Leser in der Person des Burckhard Weißwerth wiederfinden mag. Voll metaphorisch jedenfalls der Titel, der natürlich einen Landstrich zwischen Hamburg und Cuxhaven benennt, der offenbar tatsächlich Spielort des Romans ist – und zugleich den Widerstreit spiegelt, in dem sich Einwohner eben des Ländlichen wie auch sehnsuchtsvolle Besucher finden. Geschickt staffelt die Autorin (die im Übrigen einen für den „deutschen Norden“ wunderbar passenden Namen trägt …) Perspektiven verschiedener handelnder Personen so ineinander, dass sich nach und erst die Geschichte ergibt, Leser die Chronologie selbst entwickelt (oder besser „verwickelt“). Und so entstehen aus knorrigen Widerspenstlern herrlich gutmütige Charaktere, die einander wechselseitig das tun, was mit „unter die Arme greifen“ plastisch benannt wird. Vera etwa, die eine der beiden o.g. Einzelgängerinnen, mit ihrem Nachbarn Hünni: Er, der ihr heimlich den einen oder anderen Obstbaum beschneidet, wenn sie doch alles wild wachsen lässt, er es aber „schier“ möchte, und die Maulwürfe ermordet, bevor sie auch auf sein Grundstück rüber kommen – und am Schluss alle Disziplin über den Haufen wirft. Sie, die ihm nach dem frühen Tod seiner Frau Einkäufe mitbringt, als er sich nicht unter die Leute traut, mit seinem mickrigen Einkauf im Wagen, für alle sichtbar. Oder Anne, die andere Einzelgängerin, ihre Nichte, im Wechselspiel mit Vera selbst oder mit Carsten, ihrem früheren Chef, als sie sich dort zur Schreinerin ausbilden hat lassen. Leser darf schmunzelnd das freundlich-kritische Kaleidoskop hamburgischer Elite-Eltern und deren Kinder betrachten und der extremen Kinder-(Nicht-)Erziehung, ob nun @home oder @Kita – und wie sehr sich das ändert, als Anne nun aufs Land zieht, frisch getrennt vom untreuen Ehemann, zusammen mit Söhnchen Leon. Der erfreulich rasch heimisch wird, im „Restehof“ der alten Tante: Neue Flüchtlinge, Jahrzehnte nach Ankunft der Hildegard von Kamcke mit Tochter Vera, die sich die neue Heimat erkämpfen muss, entflohen aus den Masuren – und doch nie heimisch wird. Viele Geschichten in den Geschichten findet Leser, wunderbar zu verfolgen, immer Neues zu entdecken, locker-leicht geschrieben – und doch sehr nachdenklich stimmend. Von mir fast ein wenig spät endlich gelesen, dennoch erst recht passend, im Umfeld der Flüchtlings-Dikussion im Sommer 2015: Heimat finden, als Heimat emp-finden, besonders empfindlich sein und bleiben in lange fremdem Umfeld, all das findet sich auch wieder in „Altes Land“. Durch das ich gelegentlich schon mal gefahren war, auf dem Weg nach CUX, der „alten Heimat“ meiner Frau … Ach ja, mit all den Äpfeln dort, auch noch alten Apfelsorten, wie von einem ihrer Studienfreunde erfreut konstatiert, der kürzlich von einem Tripp zur alten Mutter mit einem (halben) Auto voller frisch geernteter wie auch immer Benannter zurück (nach Essen) gekommen war: Auch das ein Thema im Roman, wen wundert´s, im Widerstreit von alt eingesessenem Bauern und frisch zugezogenem Öko-Freak … Übrigens alles ein wenig komplizierter als hier in wenigen Zeilen geschrumpft! Er-lesen Sie´s selbst, es lohnt (sich)! HPR