Skip to main content

Arabisches Beben

Autor Rainer Hermann
Verlag Klett-Cotta
ISBN 978-3-608-96211-6

„Die wahren Gründe der Krise im Nahen Osten“ liegen eh auf der Hand: Da steckt viel an Stellvertreter-Krieg dahinter …

Krisengebiet Naher Osten
Eine fundierte Analyse findet Leser, mit Ausflügen in die Vergangenheit und Besuchen in der Gegenwart: „Rainer Hermann, einer der besten Kenner des Nahen Ostens, langjähriger Auslandskorrespondent und Redakteur der »FAZ«, erklärt die wahren Ursachen der anhaltenden Konflikte. Deutlich benennt er die globalen Erfordernisse, denen wir uns stellen müssen: Versagen der staatlichen Strukturen, demographisches Wachstum und die zerfallenden Volkswirtschaften.

Arabischer Frühling – arabischer Winter?!
Welche Freude herrschte, welche Aufbruchstimmung – in arabischen Landen wie auch in Europa. Doch „Die Konflikte und Kriege im Nahen Osten sind keine vorübergehende Episode, sie werden uns noch lange beschäftigen. Die postkolonialen Nationalstaaten sind gescheitert, Gesellschaften brechen auseinander. Rainer Hermann zeigt, warum eine Rückkehr zur alten Ordnung nach dem Arabischen Frühling nicht möglich war und uns noch Jahrzehnte von Kriegen bevorstehen. Wir alle haben die eigentlichen Herausforderungen der Zukunft noch nicht benannt: Erst wenn die Menschen und die Nationen ihre konfliktbeladene Suche nach ihrer Identität abschließen und es eine neue verlässliche politische Kultur gibt, die nicht mehr die Mehrheit der Bevölkerung von Teilhabe ausschließt, wird es stabile Staaten geben. Das demographische Wachstum, dysfunktionale Volkswirtschaften und gravierende Umweltprobleme gefährden jedoch jede Entwicklung. Daher wird der Flüchtlingsstrom zu uns anhalten. Sollte die Integration nicht gelingen, wird ein Zusammenstoß zwischen der Mehrheitsgesellschaft und der muslimischen Minderheit unvermeidlich sein.“ Wenig erfreuliche Aussichten statt stabiler Situation. Hervor gerufen natürlich durch koloniale Spätfolgen und willkürliche Grenzziehungen nach Ende der beiden Erdkriege …

Das wird dauern …
„Warum die Konflikte im Nahen Osten uns noch jahrelang beschäftigen werden“ ist der Titel zum Rückseiten-Text … begründet und aufgedröselt für die Leser via Inhaltsverzeichnis mit folgenden Zwischen-Überschriften: Weichenstellungen (via „Äußere Einflüsse“ und „Interne Fehlentwicklungen“) – Zerfall (von Staaten und Gesellschaften – der regionalen Ordnung – des Islams) – Scheitern (Das Beben des Jahres 2011, Der Druck im Kessel) – Zukunft (Der Westfälische Friede als Denkmodell, Die Suche nach Identitäten, .. nach einer neuen Ordnung, Die Zeitbombe tickt) – Der Westen und der Nahe Osten (Fluchtziel Europa, Das friedliche Zusammenleben sichern) – schließlich: Ausblick, durchaus moderat, einige Voraussetzungen inklusive, nämlich fünf Elemente (S. 336ff.): territorialer Nationalstaat (bis dato misslungen, u.a. aufgrund der willkürlichen Grenzsetzungen), funktionierende Institutionen (viel eigene Fehlentwicklungen, siehe Stämme, Religion & Co.), gemäßigter Arabismus (tja…), „eine regionale Ordnung, die multiple Identitäten zuließe“. Last not least: eine Freihandelszone. Ein weiter Weg, den der Autor exzellent entwickelt, offenbar bestens recherchiert, auch seiner Rolle als FAZ-Redakteur und langjähriger Auslandskorrespondent erwachsen.

Einblicke in „arabische Konflikte“
Da poppt das grenzüberschreitende Thema der Identität anhand des Beispiels der Kurden auf (S. 95ff.), vielfach die Wettbewerbs-Situation von Gesellschaft und Religion (z.B. Saudi-Arabien, etwa S. 125f.), Salafismus & Co. (S. 150ff. usw.), Ägypten wiederkehrend, etwa die Dauer-Rolle des Militärs auch ins Zivilleben und in die Wirtschaft des Landes hinein (S. 176f.). Tiefschürfend die Analyse, was „Die Akteure bis 2025“ angeht (S. 186ff.): „Fünf Länder werden im kommenden Jahrzehnt Einfluss … haben… Ägypten … USA … Saudi-Arabien … Iran… Türkei“, mit vielerlei unsicheren Entwicklungs-Differenzierungen diskutiert. Die Kritischen Erfolgs-Faktoren 1647 in Mitteleuropa, die schließlich zum Westfälischen Frieden führten, drei Jahrzehnte Krieg zu beenden, führt der Autor als mögliche Blaupause für den Nahen Osten, siehe S. 201ff.: Dritte Partei, Normaljahr, externe Garantiemächte, Ordnung kollektiver Sicherheit – trotz „keine Waffenruhe, mehrere Vorläufer, Realpolitik“. Drei Szenarien für „Die Zukunft – Die Zeitbombe tickt“ zitiert Rainer Hermann S. 268f.,mit naturgemäß recht unterschiedlichen Konsequenzen, auch und besonders für Europa: Letztlich ist das Geschehen (seit) 2015 nur ein Andeuten dessen, was uns noch „blühen“ kann und wird, derzeitige Situationen weiter gerechnet … Wer sich ernsthaft zum Geschehen in der arabischen Welt Gedanken machen mag, tue dies anhand von „Arabisches Beben“! HPR

Hanspeter Reiter