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Athos 2643

Autor Nils Westerboer
Verlag Klett-Cotta Hobbit Presse
ISBN 978-3-608-98494-1

Der Mensch zwischen virtuellem Wesen à la Cyborg und gezüchtetem Homunkulus à la Schöne Neue Welt: Im Kern befasst sich dieser höchst lesenswerte SciFi mit vielem, was im Transhumanismus diskutiert wird. Deutlich über 400 Seiten spannende, informative Unterhaltung – und zugleich Gedanken-Anstöße vermittelnd.

Was macht Menschsein aus?
Das Anthropozän hat sich quasi ausgeweitet, der Mensch sich von der Erde entfernt, sie (für Menschen) unbewohnbar hinterlassen: Das Sonnensystem ist nun „seine Welt“, erschlossen mithilfe von (inzwischen ausgeschalteten) künstlich gezüchteten Sklavenwesen, die im Weltraum zu existieren vermögen. Und unterstützt von KI-„Wesen“, primär für die mental-psychische Sicherheit von Menschen mit hohem Para-Wert (parasitär?!). Die Handlung entwickelt sich anhand eines Krimis in jener Zukunft: „Auf Athos, einem kleinen Neptunmond, stirbt ein Mönch. Rüd Kartheiser, Inquisitor und Spezialist für lebenserhaltende künstliche Intelligenzen, ermittelt. An seiner Seite: Seine Assistentin Zack. Schön, intelligent und bedingungslos gehorsam. Ein Hologramm. Für Rüd die perfekte Frau. Doch das Kloster des Athos verbirgt ein altes, dunkles Geheimnis. Rüd erkennt: Um zu überleben, muss er Zack freischalten.“ Das Ganze weit in der Zukunft, aus heutiger Sicht – und dennoch ziemlich nah, thematisch: Vielerlei mehr oder weniger heiß diskutierte Aspekte sind entwickelt, siehe Zucht künstlichen Fleisches (S. 62f. etc.), Dazu interessante Ambivalenzen, etwa der Sprache in Kommunikation – „oft nur ein Rauschen“ (S. 110) oder auch Dido-Konversation in Mensch-Maschine-Austausch (S. 145f.). Oder hintergründige visuelle Signale, als Muster schwer erkennbar (Iterationen, S. 132f. usw.). Ein wenig Anklang an Schrödingers Katze ist auch geboten (S. 161), wenn Käfer Olmer in einem kurzen Moment zwischen Leben und Sterben zu schwanken scheint… Vielerlei verspielte Situationen also hat der Autor eingewoben. Und zentral bleibt:

Wieviel Freiheit
… hat der Mensch, wieviel eine Künstliche Intelligenz, aufgrund ihrer Voreinstellungen? Und was / wer ist eigentlich „Mensch“?! Etwa bei den Skleroiden (z.B. S. 346f.) und der Akzeptanz durch die KI MARFA (S. 238f.). Philosophisch-religiöse Dialoge und Diskurse werden ausgetauscht, kritische Momente in unter“irdischen“ Tunneln sind zu durchstehen – und Rüd überrascht seine Zack mit lichten Momenten, die sie kaum von ihm erwartet hat. „Das Jahr 2643: Der Neptunmond Athos ist zum Schauplatz eines unerklärlichen Verbrechens geworden. Die lebenserhaltende KI des Klosters steht im Verdacht, gemordet zu haben. … Während Zacks anziehende Erscheinung bei den Mönchen Anstoß erregt, entpuppt sich die KI des Klosters als gerissene Taktikerin, die ihr Handeln geschickt verschleiert. Als sich unter den Mönchen ein zweiter Todesfall ereignet, begreift Rüd, dass er mehr als je zuvor auf Zacks Hilfe angewiesen ist. Um ihr Potential auszuschöpfen, trifft er – hinsichtlich ihrer Sicherheitsbeschränkungen – eine folgenschwere Entscheidung.“ Denn wieviel Freiheitsgrad darf er ihr geben – und was steckt hinter dem Aufenthalt dieser seltsamen Mönchgruppe auf dem unwirtlichen Riesenfelsen mitten im All? Es entwickelt sich eine rasante Story, die mit vielerlei SciFi-Klischees genauso spielt wie mit überraschenden Volten: So bleibt Spannung über mehr als 400 Seiten erhalten – resp. baut sich immer wieder aufs Neue auf. Zu erleben für die Leserschaft aus der Perspektive der KI Zack, die schließlich für einen sagenhaften Plot sorgt, der jenseits aller Erwartungen liegt (S. 424f.), wow! Und der dennoch eigentlich so nahe liegt… Ein Lese-Vergnügen der besonderen Art, nachdenklich machend. HPR www.dialogprofi.de www.gabal.de

Hanspeter Reiter