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Berge, Meere und Giganten

Autor Alfred Döblin
Verlag Fischer
ISBN 978-3-596-90464-8

Was kennt „man“ von diesem Autor? Nun, „Berlin Alexanderplatz“ natürlich. Doch was einen Ausstoß hat er produziert, die Gesamtausgabe hat 24 Bände, von denen einige weiter untergliedert sind. Und dieser hier gilt als ein Meilenstein des utopischen Romans, aufgrund der gewählten Ausblicke und des Zeitraums bis zum 27. Jahrhundert eindeutig unter SciFi anzusiedeln. Geradezu visionär ist der Autor in seinem bereits 1924 erstmals veröffentlichten Roman in vielerlei Hinsicht, auf der Suche nach Antworten zu „Was wird aus uns Menschen, wenn wir so weiterleben?“, dennoch klar mehr als Fiction denn als Science: Folgen des Abschmelzens von Gletschern (S. 472ff.), bedrohliche Lebewesen aus darunter liegenden Schichten (S. 490ff. – ein wenig größer als die vermuteten Bakterien in Gletschereis-Seen J …), vermehrte Slums in übervölkerten Regionen – und wiederkehrende Auseinandersetzungen zwischen Gruppen, wenn (und weil) es ums Überleben geht. Sprachlich-darstellend teils durchaus heraus fordernd geschrieben – siehe etwa das Aneinanderreihen diverser Nomina als verstärkende Form des Aufzählens -, führt dieser Roman den Leser durch mehrere Jahrhunderte mit viel Auf und Ab – und dem durchaus tröstlichen Ausblick, dass es letztlich immer irgendwie weiter gehe, auch mit der Menschheit …Woran Leser gelegentlich zweifeln mag, auf den mehr als 600 Seiten: „Die alten politischen Staaten bestanden noch dem Namen nach. Wie die Hautfarben, die Gesichter arabisch ägyptisch negerhaft sich veränderten, die Sprachen zu einem Kauderwelsch wurden, in dem sich nördlicher und südliche Zonen berührten, so verloren die Staaten ihren alten strengen Charakter. Eine fast gleichförmige Menschenmasse bevölkerte das Gebiet …, überwog hier die, dort die Art.“ (S. 22) Oder dies (S. 75): „Es sei unrecht, ein Privatleben zu führen und Individuen zu dulden … Im übrigen sei es im Interesse der Menschheit, für die ungeheure Masse einen gleichmäßigen Dauerzustand herzustellen, ihnen das doch nie ausgelebte Eigenleben zu nehmen, sie vegetativ einzuebnen“, geführt von einer Mini-Elite – was sich letztlich durchzieht, Aufstände und ausgewechselte Führer inklusive, hmm … – Im Nachwort von Gabriele Sander erfährt Leser viel zur Entwicklung dieses eher apokalyptischen Textes im Rahmen von Döblins Beschäftigung mit Natur und Technik, Naturwissenschaft und Metaphysik, die er in Essays festgehalten hatte. Einzelne Kapitel des Romans hat er auch wieder umgeschrieben, allerdings wohl eher weniger als Reaktion auf die stark gespalten daher kommende Rezeption – von enthusiastisch bis schroff ablehnend, so Sander (S. 642). Ihr Schluss (S. 651): „Die marginalisierten ´Primitiven´sind es …, die wesentlich zur Entstehung einer kleinen, am Ende jedoch wirkungsmächtigen Gegenbewegung beitragen. Diese erweist sich … als Keimzelle der Erneuerung.“ Doch auch – und besonders hier – gilt: Was beim Leser ankommt, hängt von seiner Interpretation ab! Dafür wünsche ich viel „Vergnügen“! – Mehr zur Werkausgabe findet der interessierte Leser hier: http://www.fischerverlage.de/suche?text=d%C3%B6blin. HPR

Hanspeter Reiter