Berlin – eiserne Stadt
Autor | Jason Lutes |
Verlag | Carlsen |
ISBN | 978-3-551-76676-2 |
Geschichte und Graphic Novel sind stark miteinander verwoben, schon seit den ersten Auftritten dieses Comic-Genres in den USA der 1970-er Jahre: Die berühmte Holocaust-„Metapher“ (oder gar „Parodie“?!) „Maus“ von Art Spiegelman („im Stil der Underground-Comics“) z.B. erschien bereits ab Anfang der 1980-er Jahre im Magazin RAW, „Here“ von Richard McGuire (gerade neu auf Deutsch) 1989 ebendort. Und seit 2004 erscheint auch „Berlin“ bei Carlsen, das das Aufziehen des Nationalsozialismus am Erleben agierender Personen darstellt, mitten in Berlin. Dies ist der zweite Band der Trilogie (Juni 1929-August 1930, nach „Berlin – steinerne Stadt“, September 1928-1.Mai 1929), zu dem der dritte auf Deutsch vsl. Mitte 2016 erscheinen wird (bis 1933): Die Hauptfiguren Marthe Müller (Zeichnerin) und Kurt Severing (Journalist) sind inzwischen (oder zumindest zwischenzeitlich) ein Paar. Die Zugereiste hat sich zwar in Berlin eingelebt, ohne sich wirklich heimisch zu fühlen. Dennoch lehnt sie die Rückkehr in elterliche Gefilde ab, worum ihre Mutter sie tränenreich bittet: Der Vater hat in der Finanzkrise 1929 alles verloren – deshalb gibt es auch kein Geld mehr für Marthe. Obwohl, sie hätte eh keine Zuwendungen mehr erhalten, da sie ihr Kunst-Studium aufgegeben hat … Was alles hat sie inzwischen erlebt: Gegensätze von Bürgertum und Arbeiterschaft, Antisemitismus, Straßenkämpfe kommunistischer Gruppen mit der Staatsgewalt – und dann mit immer stärker werdenden braunen Brigaden. Leichte Lebensart mit ihren Mitstudierenden, Wiedertreffen mit dem „Zug-Begleiter“ Kurt bei einer Party, Job-Versuch nach Aufgabe des Studiums: „ Eindringlich, detailliert und historisch fundiert erzählt Lutes von den Ereignissen am Vorabend des Dritten Reiches. Die Kämpfe zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten werden heftiger, und die Stadt gleicht einem Pulverfass. Das Nachtleben Berlins bietet viele Möglichkeiten, die bittere Realität wenigstens zeitweise zu vergessen. Die amerikanische Jazzband Cocoa Kids wird für eine Weile einer der hellsten Sterne an Berlins Nachthimmel, doch die farbigen Musiker haben keinen leichten Stand…“. Marthe verlässt Kurt, um mit Anne zusammen zu ziehen, nachdem sie deren Begehren nachgegeben hat, ist mit ihm in Interview-Projekten jedoch weiter unterwegs, die sie zeichnerisch begleitet, etwa fürs Aufarbeiten der tödlichen Schüsse bei der 1929-er Mai-Demonstration linker Gruppen, abgegeben von der Polizei. Die Schicksale diverser Menschen dort kehren im Laufe der Kapitel immer wieder, wie auch jene der Kollegen von Severing, inkl. seinem Chefredakteur – Claus von Ossietzky, der lfd. im Visier staatlicher Überwacher steht … Sehr pointierend der Federstrich von Jason Lutes, exzellent sein Spiel mit Panel-Formaten und –Anzahl sowie intensiverer (Schwarz-)“Färbung“ in z.B. Party-Atmosphäre, Marthes Erleben (mit Frivolität, Alkohol und Drogen) spiegelnd. Differenzierend wird auch Schrift eingesetzt, sei es die Art (kursiv) oder die Platzierung (Gedanken in Kästen, durchaus auch mehrere innerhalb eines Panels). Künstlerisch wie inhaltlich höchst wertvoll! Da gilt es, Band 3 entgegen zu fiebern … HPR